Kommentar zu den Vorwahlen in den USA Überraschung
Meinung | Washington · Nein, es hat sich nicht „ausgetrumpt“. Aber der unangenehmste Schreihals auf der politischen Bühne Amerikas wird nach der Auftaktschlappe in Iowa seine Tonlage im Ringen um das Präsidentschaftsticket deutlich herunterdimmen müssen. Kein Problem. Donald Trump ist Opportunist und Pragmatiker.
Die Erleichterung darüber, dass die wackeren Bürger von Iowa den Tatsachenverdreher, Brunnenvergifter und politischen Flachwurzler Donald Trump zurechtgestutzt haben, hält sich allerdings in Grenzen. Ted Cruz, der Mann, der ihn beim Aufgalopp des Ausleseprozesses auf dem Marsch ins Weiße Haus bezwungen hat, ist bei Licht betrachtet keinen Deut besser. Er ist tatsächlich noch mehr von einer finsteren Mission besessen.
Nimmt man dann noch den irrlichternden Ex-Gehirnchirurgen Ben Carson hinzu, wird einem vollständig mulmig. Gemeinsam kommen diese drei Außenseiter in Iowa auf rund 60 Prozent der abgegebenen Stimmen. Deutlicher könnte die Verachtung der Wähler für den Mainstream der republikanischen Partei nicht ausfallen.
Dass in Zeiten allgemeiner Verunsicherung viele den Rattenfänger-Melodien derer folgen, die wahlweise die „Eliten in Washington“, das „Establishment“ oder das „System“ schlechthin für die Wurzel allen Übels halten, dokumentiert die Baufälligkeit der amerikanischen Demokratie.
Auch die Demokraten scheinen nicht davor gefeit zu sein, dass der Wähler lieber an den Rändern nach politischen Angeboten Ausschau hält als die Mitte in den Blick zu nehmen. Der unglaubliche Erfolg des Polit-Veteranen Bernie Sanders (74), der mit seiner an Oskar Lafontaine erinnernden Überwältigungsrhetorik und Umverteilungsagenda ausgerechnet die junge Generation begeistert, markiert im linken Milieu den Widerstand gegen alles Etablierte.
Ob Hillary Clinton, die in ihrem Rucksack neben schlummernden Skandalen (E-Mail-Affäre, Bengasi etc.) ein Glaubwürdigkeitsproblem mit sich schleppt, den ergrauten Revolutionär so schnell nachhaltig auf Distanz halten kann, ist noch nicht ausgemacht. Alle Beteiligten wissen zwar, dass Sanders‘ Programm – Krankenversicherung für alle, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, kostenloses Studium, Reichensteuer in den USA – zu sehr nach Staatsquote und hoher Verschuldung klingt und darum nicht mehrheitsfähig sein wird. Aber Clinton, die trotz allem Favoritin bleibt, kann sich keine Fundamentalopposition erlauben. Das würde Sanders noch mehr Auftrieb geben.
In dieser Gemengelage ist das unerwartet gute Abschneiden des jungen Marco Rubio im Lager der Konservativen fast schon ein Hoffnungsschimmer. Er sieht wie Establishment aus, kommt aber auch aus der innerparteilichen Opposition. Aus heutiger Sicht ist er der einzige, der die von Hass und Missgunst getriebenen Lager in der republikanischen Partei hinter sich versammeln kann.