Kommentar zum Freispruch von Osman Kavala Willkür bleibt Willkür
In der Türkei ist ein Prozess zu Ende gegangen, den es nie hätte geben dürfen. Osman Kavala, einer der prominentesten Vertreter der Zivilgesellschaft des Landes, saß wegen völlig absurder Vorwürfe mehr als zwei Jahre in Untersuchungshaft.
Die Staatsanwaltschaft warf Osman Kavala vor, die Gezi-Proteste vor sieben Jahren organisiert zu haben – ohne einen einzigen stichfesten Beweis dafür vorlegen zu können. Das
Gericht sprach Kavala und die anderen Angeklagten am Dienstag frei.
Doch wie der Freispruch der in Deutschland lebenden Schriftstellerin Asli Erdogan vor wenigen Tagen hat die Entscheidung vom Dienstag – so begrüßenswert sie ist – nichts mit rechtsstaatlichen Kriterien zu tun. Sie ist ebenso Ausdruck von Willkür wie die Festnahme von vielen tausend Unschuldigen in den vergangenen Jahren: Die Regierung gibt, und die Regierung nimmt, je nachdem, was ihr gerade opportun erscheint.
Wegen Spannungen mit Russland erscheint der türkischen Führung eine Wiederannäherung an Europa ratsam. Da Europa schon lange Kavalas Freilassung fordert, hätte eine lebenslange Haftstrafe für den Kulturmäzen und Aktivisten dieses Projekt gefährden können.
Mit dem Urteil kehrt in der Türkei keine Demokratie ein. Sollte die Regierung beschließen, wieder härter gegen mutmaßliche Gegner vorgehen zu müssen, keine europäische Unterstützung mehr zu brauchen oder aus anderen Gründen den Kurs wieder zu ändern, könnte es neue Festnahmen und Urteile geben.
Selbst im Fall Kavala ist das letzte Wort womöglich noch nicht gesprochen. Die Staatsanwaltschaft kann Einspruch einlegen. Ein Minister bekräftigte nach dem Urteil, die Gezi-Proteste seien „klarer Landesverrat“ gewesen.