Kommentar Wechsel im Vatikan - Glaubwürdigkeit

Über seine Kirche hat sich Joseph Ratzinger nie Illusionen gemacht. Für viele Menschen sei sie das "Haupthindernis des Glaubens", schrieb er 1968 in seiner "Einführung in das Christentum", und er zitierte einen Bischof des Hochmittelalters, der die Kirche gar als "Untier" bezeichnete.

45 Jahre später, an Aschermittwoch 2013, sprach der scheidende Papst Benedikt XVI. aus bitterer Erfahrung vom "verunstalteten Gesicht" der Kirche. In seinem Pontifikat hat er versucht, die Kirche zu einer Selbstreinigung zu veranlassen. Viel gewonnen wäre schon, wenn dem Missbrauch geistlicher Ämter für Wirtschaftsdelikte (die Affäre um die Vatikanbank IOR) oder für sexuelle Übergriffe effektiv begegnet werden könnte.

Die Entschiedenheit, mit der der Papst zuletzt auf die Vorwürfe "ungebührlichen Verhaltens" gegen einen britischen Kardinal reagierte und ihn binnen einer Woche als Erzbischof absetzte, zeigt, was sich unter Benedikt XVI. verändert hat. Man erinnere sich an das quälend lange Verfahren gegen den mit weitaus schwereren Vorwürfen konfrontierten Wiener Kardinal Hermann Groër unter Benedikts Vorgänger Johannes Paul II.

Den Untersuchungsbericht zur "Vatileaks"-Affäre, die ja Verbindungen zum Fall IOR aufweist, wird Benedikt seinem Nachfolger übergeben - und nur diesem. Was zeigt, wie begrenzt sein Vertrauen ins Kardinalkollegium ist. Offenbar hat der Papst sich zu erschöpft gefühlt, um die Aufarbeitung dieser Affäre mit der nötigen Energie zu Ende zu bringen.

Ratzingers Kurs der Reinigung fortzusetzen, ist die zentrale Aufgabe eines neuen Papstes. Benedikts Nachfolger sollte aber auch nicht übersehen, dass ein den Ansprüchen der katholischen Kirche nicht gemäßes Verhalten von Geistlichen nur ein - wenn auch wichtiger - Grund der aktuellen Glaubwürdigkeitskrise ist. Der zweite Grund ist das Verweigern von Reformen auch dort, wo sie theologisch nicht auf unüberwindbare Schwierigkeiten stoßen würden.

Wohlgemerkt, es geht nicht darum, dass der Vatikan, dass die katholische Weltkirche alle Emanzipationswünsche westlicher Liberaler erfüllen müsste. Das hat die in Habitus und Amtsverständnis so nahe verwandte anglikanische Kirche versucht (bis hin zur gescheiterten Idee, Bischöfinnen zu weihen) und ist gerade damit an den Rand der Kirchenspaltung geraten.

Nicht nachvollziehbar ist aber zum Beispiel, wieso die katholische Kirche in punkto Ehescheidung hinter den Möglichkeiten der - eigentlich viel strengeren - orthodoxen Kirche zurückbleibt, mit der sie doch die volle Kircheneinheit für möglich hält. Auch durch solche unverständliche Sturheit kann eine Kirche zum Hindernis des Glaubens werden. Der neue Papst sollte derartige Blockaden lösen.

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