Kommentar Wahlen in Indien - Kehrtwende

Die größte Demokratie der Welt entschied sich für den "sanften Faschismus", wie das Massenblatt "Times of India" die zukünftige Regierung des HinduNationalisten Narendra Modi zum indischen Premierminister schon vor Wochen nannte.

Die Mammutnation, die mit ihrer Vielfalt an Kulturen, Sprachen und einem unvergleichlich chaotischen Lebensstil seit ihrer Gründung als Vorbild für das funktionierende Zusammenleben verschiedener Religionen und Völker unter einem gemeinsamen Dach galt, wirft die Tradition der Toleranz über Bord.

Stattdessen katapultiert sie einen Mann samt einer religiös-nationalistischen Ideologie an die Macht, die von Muslimen über Christen allen Minderheiten den hinduistischen Stempel aufdrücken will.

Die superreichen Tycoons und die 12 500 Inder in der 1,3 Milliarden Einwohner zählenden Nation, die mehr als 20 Millionen US-Dollar besitzen, wollen den Sohn eines Teeverkäufers, weil er ihnen üppige Profite verheißt.

Indiens 250 bis 350 Millionen Menschen umfassende Mittelklasse wählte den Hindu-ationalisten, weil sie den wirtschaftlichen Niedergang fürchtet.

Narendra Modi samt seiner blutbesudelten Karriere erscheint den Indern nach Jahren des Schlendrians mehr als einzige verbliebene Alternative denn als Heilsbringer.

Sie wissen, dass sie ein Risiko eingegangen sind, als sie bürgerliche Freiheiten in die dritte Reihe ihrer Prioritäten verbannten und sich für Recht, Ordnung und wirtschaftliches Wachstum entschieden. Doch sie glauben an die demokratische Kraft ihres Landes und hoffen, den Hindu-Nationalisten in der Zukunft auch wieder in die Schranken weisen zu können.

Aber Modi ist kein Demokrat. Er verlangt Unterwerfung im Tausch für politische Leistungen. Indiens Tycoons, die ihn im Wahlkampf massiv mit Geldmitteln unterstützten, werden dies ebenso spüren wie Beamte im gigantischen indischen Staatsapparat. Einige wenige Inder glauben bereits, die dunklen Wolken einer autoritären Scheindemokratie entsprechend dem Putin-Muster in Russland oder der Türkei zu erkennen.

Die Entwicklung stellt eine realistische Gefahr in der größten Demokratie der Welt dar. Denn wer die Geschichte der indischen Hindu-Nationalisten studiert, muss schnell die Hoffnung begraben, mit deren Hilfe viele Beobachter und westliche Diplomaten die Wahl von Modi schönreden.

Indiens neuer Premierminister wird weder die Neigung noch den Ansporn besitzen, sich in seiner Position als Premierminister zum gemäßigten Hindu-Nationalisten zu wandeln. Seine Partei besitzt auch ohne Koalitionspartner die absolute Mehrheit im Parlament. Nach zehnjähriger Amtszeit hatte die altehrwürdige Kongresspartei mit ihrer ausgezehrten Gandhi-Dynastie der hindu-nationalistischen Welle keine Ideen mehr entgegenzusetzen.

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