Kommentar Versorgung mit Ärzten - Alles nur Papier

Wer in Berlin am Ku'damm, im Regierungsviertel in Mitte oder im feinen Zehlendorf unterwegs ist, hat nicht den Eindruck, dass wir in einem ärztlichen Notstandsgebiet leben. An vielen Hauseingängen prangen Schilder mit den Namen der Arztpraxeninhaber.

Auf tausend Einwohner in der Hauptstadt kommen 5,4 berufstätige Ärzte. Vergleicht man das mit der Lage in Brandenburg oder Niedersachsen, weiß man schnell, was los ist: Hier sind es nur 3,5 Ärzte pro 1000 Einwohner. Übrigens: In der Eifel und im Sauerland sieht es nicht viel besser aus.

Ärzte lassen sich also lieber in der Großstadt als auf dem Land nieder. In der Stadt lässt sich leichter Geld verdienen. Hausärzte müssen bei Hausbesuchen nicht so weite Wege fahren. In den besseren Vierteln kommen die Privatpatienten hinzu, deren Versicherungen für ärztliche Leistungen mehr zahlen als die gesetzliche Krankenkasse. Attraktiver ist die Stadt für Ärzte aber auch, weil hier der berufstätige Partner leichter einen Job findet und eine größere Schulauswahl für die Kinder besteht.

Deutschland gehen nicht die Ärzte aus, es werden sogar jedes Jahr mehr, aber der medizinische Bedarf in einer alternden Gesellschaft, in der schon bald jeder vierte Einwohner über 60 Jahre alt sein wird, wächst. 1971 begann die Medizin mit den ersten Computertomographien, heute macht man jährlich über vier Millionen CT-Aufnahmen. In Krankenhäusern lassen Patienten jährlich über eine Million Magenspiegelungen vornehmen. Dabei ist vor knapp 30 Jahren gerade mal das erste elektronische Endoskop zum Einsatz gekommen.

Welcher Arzt sich wo niederlassen darf, dafür sind die Kassenärztlichen Vereinigungen zuständig. Und sie tun es nach Regeln, die von der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen aufgestellt werden. Die gestern verabschiedete Richtlinie wird die ärztliche Versorgung nur unwesentlich verbessern. Richtig ist, dass die Planungsbezirke verkleinert werden und die Bevölkerungsstruktur nicht nur pro Kopf, sondern nach dem Alter erfasst wird. Es ist aber völlig unzureichend, wenn man nur auf die Zahl der unter und über 65-Jährigen schaut. Arme Viertel haben schlicht mehr kranke Einwohner, die Pflegebedürftigkeit ist höher. Entsprechend müssten hier mehr Ärzte sein.

Verbesserungen gibt es bei den Hausärzten, jedoch vorerst nur auf dem Papier. Wem nützen 900 zusätzliche Niederlassungsmöglichkeiten, wenn schon heute 2000 Praxen leerstehen? Familien mit Kindern mutet man zu, längere Wege in Kauf zu nehmen. Die Planungsregionen für Kinderärzte werden nicht verkleinert.

Verbraucherschützer monieren zu Recht, dass die Barrierefreiheit kein Kriterium für die Zulassung einer neuen Praxis geworden ist. Behinderte dürfen sich bei der Selbstverwaltung bedanken.

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