Kommentar Soziale Gerechtigkeit in der EU - Alarmzeichen

Was ist eine Studie wert, deren Kernaussage - Kinder und Jugendliche sind die größten Verlierer der europäischen Schuldenkrise - lediglich reflektiert, was uns der gesunde Menschenverstand sagt?

Wer in den letzten Jahren über den nationalen Tellerrand hinausgeschaut hat, weiß um die dramatischen Zahlen etwa zur Jugendarbeitslosigkeit in den Krisenländern Griechenland, Spanien und Portugal. Und dass die seit jeher in Europa bestehende soziale Kluft zwischen Nord und Süd sich in den Jahren der Krise noch verstärkt hat, ist auch nicht überraschend.

Nein, die nackten Zahlen und Daten allein machen diese Studie nicht bemerkenswert. Wichtig ist sie dennoch: Weil sie zu einem Zeitpunkt, in dem die Sicht auf Europa von dem alles überdeckenden Flüchtlingsthema beherrscht wird, in Erinnerung ruft, dass die zentralen Probleme der Union tiefer liegen. Und dass, obwohl diese Probleme seit Jahren bekannt sind, viel zu wenig geschieht, um sie zu überwinden.

Armut und Ausgrenzung, ungleiche Bildungschancen, Generationengerechtigkeit - das, was die Studie unter dem Begriff "soziale Gerechtigkeit" subsumiert, ist nicht "sexy", nicht spektakulär. Aber hier findet sich der Kitt, der nicht nur die einzelnen EU-Staaten, sondern auch das soziale Wesen Europäische Union zusammenhält. Der sie stark macht, Herausforderungen wie die Flüchtlingskrise anzunehmen und sie zu bewältigen, statt darüber in heillosem Streit zu versinken.

Eine Europäische Union, der es nicht gelingt, die Lebenswirklichkeit ihrer Bürger zu verbessern, stellt sich selbst infrage. Deshalb ist der Kernbefund der Studie ein gellendes Alarmzeichen: Dass fast 30 Prozent der unter 18-Jährigen in Europa - rund 26 Millionen Kinder und Jugendliche - von Armut und sozialer Ausgrenzung bedroht sind, ist nicht hinnehmbar.

Wo sind die Konsequenzen aus dem Ruf "Kinder sind unsere Zukunft"? Wie soll die europäischen Zukunft gestaltet werden, wenn 17,8 Prozent der EU-Bürger zwischen 20 und 24 Jahren weder eine Beschäftigung haben noch in Ausbildung sind? Wie soll gesellschaftlicher Zusammenhalt wachsen, wenn die Kluft zwischen Jung und Alt wächst, weil die Lasten der Krise vor allem die Jungen tragen müssen?

Obwohl der Tiefpunkt der ökonomischen Krise in Europa überwunden scheint, bleibt die Wende in Sachen sozialer Gerechtigkeit aus. Und es drängt sich die Frage auf, ob eine Austeritätspolitik, die Investitionen in Bildung, soziale Infrastruktur und Arbeitsmarktförderung abwürgt, überhaupt geeignet ist, dies zu erreichen.

Die Studie skizziert einen Teufelskreis: geringe Bildungschancen, weniger Aussichten am Arbeitsmarkt, weniger Einkommen, weniger Investitionen in die Bildung der Kinder. Nicht nur die Wirtschaft muss gesunden, auch dieser Teufelskreis muss endlich durchbrochen werden.

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