Kommentar Schulzeitverkürzung - Mehr Luft bis zum Abitur

Vor einigen Jahren ist in vielen nordrhein-westfälischen Grundschulen damit begonnen worden, jahrgangsübergreifende Klassen zu bilden.

Ein Ziel dabei war, den Schülern die Zeit zu geben, die sie brauchen, um sich im Lernalltag zurechtzufinden - inklusive der Möglichkeit, die Grundschule anstatt in vier Jahren in drei oder fünf zu absolvieren. Vielleicht kann das, was in vielen Grundschulen funktioniert, auch ein Modell für die Gymnasien sein.

Klar ist: Zahlreiche Schüler fühlen sich in dem heutigen G8-System überfordert und bräuchten mehr Zeit für den Weg bis zum Abitur. Klar ist aber auch: Es gibt Schüler, die das achtjährige Gymnasium gut bewältigen können. So wie in der Grundschule ist eben auch im Gymnasium das individuelle Lerntempo oft verschieden.

Und es gibt ja tatsächlich mit den Schulen in Lohmar und Neunkirchen-Seelscheid schon zwei Gymnasien im Land, die sowohl das Turbo-Abitur als auch das nach neun Jahren anbieten. Und bisher funktioniert es dort offenbar ganz gut. So könnten diese beiden Schulen die Keimzelle für eine Entwicklung werden, die den Schülern eher gerecht wird als die bisherige G8-Praxis.

Denn sowohl bei der Vorbereitung als auch in den nunmehr neun Jahren seit der Einführung ist das achtjährige Gymnasium in NRW wahrlich keine Erfolgsgeschichte geworden. Obwohl mehr Unterricht am Nachmittag stattfindet, können die Schüler die Tasche anschließend nicht in die Ecke stellen. Hausaufgaben, Vokabeln lernen, Referate vorbereiten, für Arbeiten und Klausuren lernen - all das steht in vielen Familien weiterhin an Abenden oder am Wochenende auf dem Programm. Zu kurz kommen oft genug der Sportverein, die Musikschule oder der Sonntagsausflug mit der Familie.

Mehrere Väter und Mütter berichteten jüngst davon, dass sie den Eindruck hätten, die Kinder und Jugendlichen jagten ohne große Verschnaufpausen von der Klasse fünf bis zum Abitur, seien danach aber so erschöpft, dass sie erst einmal ein Jahr Luft holen müssten, bevor sie sich mit dem Thema Studium oder Ausbildung beschäftigen. Das allerdings kann nicht der Sinn der Schulzeitverkürzung gewesen sein.

Es war gut, dass Schulministerin Sylvia Löhrmann die Experten zusammengerufen hat, um über die Zukunft der Gymnasien zu diskutieren. Doch nun beginnt die eigentliche Arbeit. Denn der gestrige Abend kann nur der Anfang und nicht der Schlusspunkt der Diskussion gewesen sein. Sollte das Modell Lohmar/Neunkirchen-Seelscheid nicht landesweit infrage kommen, hilft vielleicht auch ein Blick nach Rheinland-Pfalz. Dort findet kaum eine Diskussion über das Abitur nach gut achteinhalb Jahren statt. Das G8 wiederum gibt es nur als Ganztagsschule - mit vielen Lernphasen, aber kaum Hausaufgaben.

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