Kommentar Regierungskrise in Italien - Respektlos

Regierungen wechseln in Italien beinahe so häufig wie die Jahreszeiten. Mario Monti war 17 Monate Ministerpräsident, sein Nachfolger Enrico Letta zehn Monate.

Jetzt ist Matteo Renzi, der respektlose Bürgermeister von Florenz an der Reihe, der seinen Vorgänger Letta in einem parteiinternen Putsch aus dem Amt gejagt hat. Monti und Letta gewannen als seriöse Politikertypen schnell das Vertrauen der wichtigsten EU-Partner. Die Italiener begeisterten sie nicht. Beim unverschämten Renzi ist es andersherum. Bei seinen Landsleuten kommt er an. International ist er ein unbeschriebenes Blatt. Der Verdacht liegt nahe, hier profiliere sich mal wieder einer auf Kosten der Italiener.

Doch Renzi verdient eine Chance. Seit sich der erst 39 Jahre alte Bürgermeister in den Ring der nationalen Politik begeben hat, setzt er zwar vor allem eine Duftmarke: Respektlosigkeit. Diese Chuzpe war auch in der Auseinandersetzung mit seinem Parteifreund Letta zu beobachten. Erst versicherte der neu gewählte Sekretär der Demokratischen Partei (PD) dem Premier, er habe es nicht auf seinen Job abgesehen. Kurz darauf zwang er ihn mit einem Votum des höchsten Parteigremiums aus dem Amt.

Das war zweifellos stillos. Für Renzi ist Stil allerdings eine zu vernachlässigende Kategorie. Das kann man ihm übel nehmen. Der positive Aspekt dieser Respektlosigkeit ist, dass Renzi sie auch den verkrusteten Strukturen in Italien entgegen bringt. Nun muss er zeigen, dass sein Mantra von der "Verschrottung" der bisherigen Politikerklasse auch für die italienischen Unzulänglichkeiten gilt und er es ernst meint mit dem Abbau der Bürokratie, mit der Reform des Arbeitsmarkts und der Reform der Institutionen.

Seine große Chance ist die Geschwindigkeit, mit der er sich durch die italienischen Institutionen bewegt. Erst im Dezember wurde der Kommunalpolitiker von knapp drei Millionen Italienern mit Dreiviertelmehrheit zum Vorsitzenden der größten Mitte-Links-Partei Italiens gewählt. Jetzt wird er Ministerpräsident. Ein so rascher Aufstieg ist beispiellos in der italienischen Geschichte. Renzi verfügt wegen seines unkonventionellen, jugendlichen Auftretens und wegen seiner Respektlosigkeit gegenüber den Institutionen über großen Rückhalt in der Bevölkerung. Zu hoffen ist, dass Renzi seinen Schwung auch für die notwendigen Reformen nutzen kann.

Auch konservative Parteien reagieren mit Neugier auf den Neuen aus der Toskana. Niemandem in Italien wird so viel zugetraut wie dem Bürgermeister von Florenz. Diesen Bonus kann Renzi gut gebrauchen. Er ist im Moment der einzige italienische Politiker, der noch Opfer von der resignierten Menge verlangen kann.

Für Renzi spricht aber vor allem, dass er fertiggebracht hat, was seinen Vorgängern seit knapp zehn Jahren nicht gelungen ist: Er hat in wenigen Wochen einen Reformkompromiss für eine Änderung des Wahlrechts und die Umwandlung der zweiten Parlamentskammer zustande gebracht. Dass dieser Kompromiss, der noch vom Parlament verabschiedet werden muss, mit Silvio Berlusconi zustande kam, hat viele auf Seiten der Linken verärgert. Auch für solche Empfindlichkeiten hat Renzi keinen Respekt.

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