Kommentar zum EU-Konvent Reformdruck nutzen
Meinung | Brüssel · Das Europäische Parlament bereitet hinter den Kulissen weitgehende Reformen der Union vor. Wenn Veränderungen der europäischen Verträge nötig sind, darf die Gemeinschaft davor nicht zurückschrecken, kommentiert Detlef Drewes.
Die Unzufriedenheit ist mit Händen zu greifen. In wichtigen Bereichen funktioniert die Europäische Union zu langsam oder gar nicht. Ein neues Asylrecht ist nicht in Sicht. Leitlinien für die digitale Zukunft in Produktion und Service fehlen. Und die letzten beiden großen außenpolitischen Entscheidungen waren ein Desaster: Die EU konnte sich nicht auf eine einheitliche Linie angesichts des türkischen Einmarsches in Nordsyrien verständigen. Der längst versprochene Auftakt der Beitrittsgespräche mit Nordmazedonien und Albanien fiel ins Wasser. Hinzu kommen Rückschläge im Verhältnis zwischen dem Wähler und den EU-Politikern – nicht zuletzt deswegen, weil keiner der Spitzenkandidaten bei der Europawahl als neuer Kommissionschef durchgesetzt werden konnte.
Ursula von der Leyen, die Kompromisskandidatin, bündelte diese Unzufriedenheit schon in ihrer Bewerbungsrede vor dem Parlament und versprach eine Reformkonferenz. Nun sind die Abgeordneten vorgeprescht. Die Richtung stimmt: Die Arbeitsweise, das Blockieren, die Machtverteilung in der EU – all das muss auf den Prüfstand, und wenn dafür Veränderungen der europäischen Verträge nötig sind, darf die Gemeinschaft davor nicht zurückschrecken.
Der Lissabonner Vertrag von 2009 ist von dem Versuch der Mitgliedstaaten geprägt, große Teile der ursprünglich geplanten europäischen Einheit zurückzunehmen. Das Prinzip der Einstimmigkeit, um ein Beispiel zu nennen, bewirkt, dass ein Bremser reicht, um alle zum Stillstand zu bringen. Nun wäre ein guter Zeitpunkt: Das Europäische Parlament ist zu einem großen Teil mit ehrgeizigen Neulingen besetzt, eine neue Kommission nimmt ihre Arbeit auf und die Zahl der Rückschläge erzeugt einen Reformdruck, den die Gemeinschaft nutzen sollte.