Kommentar Referendum in Schottland - Die Stimmung kippt

Als die Schotten vor 307 Jahren dem Königreich beitraten, wurden sie nicht nach ihrer Meinung gefragt, das Parlament in Edinburgh entschied sich mit London für diesen Schritt hin zur Union.

Mehr als drei Jahrhunderte später sind rund vier Millionen Menschen aufgerufen, in einem Referendum darüber abzustimmen, ob Schottland diese Aktion rückgängig machen soll. Und während die Abspaltungsbestrebungen in Westminster lange unterschätzt wurden, kippt nun die Stimmung. Allen Erwartungen und Voraussagen zum Trotz führen plötzlich die Separatisten.

Panik, Schock, Unverständnis, so lässt sich die Reaktion in London zusammenfassen. Sogar Königin Elisabeth II befürchte laut hochrangiger Beamten inzwischen eine Verfassungskrise, heißt es. Offiziell nimmt sie eine neutrale Position ein, inoffiziell sei sie eine "Unionistin".

Die Befürworter des Status Quo verstehen die jüngste Umfrage als "Weckruf", dabei darf ihnen ein großer Anteil am Erfolg der Separatisten zugesprochen werden. Ihre Kampagne bestand vor allem darin, Schreckensbilder zu verbreiten. Während sie auf der einen Seite unaufhörlich Risiken beschworen und mit Verboten gedroht haben, zeigte die Unabhängigkeitsbewegung eine positive, eine fortschrittliche Vision auf.

Während die aus mehreren Parteien bestehenden Unionisten zersplittert sind, war die Ja-Kampagne um die Scottish National Party (SNP) und deren populärer Chef Alex Salmond von Anfang an gut organisiert, zog an einem Strang. Obwohl viele Fragen bis heute unbeantwortet sind, etwa mit welcher Währung ein autonomes Schottland bezahlen würde, wird die politische Bewegung von einem Gefühl getragen, das bei vielen Menschen vorherrscht: von einem übermächtigen Partner fremdbestimmt zu sein.

Ein Partner, der die Sorgen und Nöte der Schotten nicht versteht und zu fokussiert auf London ist. Warum also nicht unabhängig werden?

Hier geht es nicht um einen rückwärts gewandten, nostalgisch geprägten Patriotismus, vielmehr zeigt sich ein neuer moderner Nationalismus. Die Anhänger der Eigenständigkeit wollen ein liberales Land schaffen, das sich im Gegensatz zur Europa-Skepsis der Engländer offen für die europäischen Partner zeigt.

Wie auch immer das Ergebnis ausfallen wird, den Politikern steht eine Herkulesaufgabe bevor: Sie müssen die Bevölkerung wieder einen. In den vergangenen Monaten haben die Schotten manchmal zu leidenschaftlich polarisiert. Vor allem Unabhängigkeitsbefürworter haben offene Unionisten teils scharf attackiert. Am 19. September muss wieder Frieden einkehren. Denn das Wesen der Demokratie besteht nicht nur darin, dass das Volk die Politik bestimmt, sondern dass im Anschluss die Entscheidung der Mehrheit von der unterlegenen Minderheit auch akzeptiert werden muss.

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