Kommentar Piraten, AfD und Co. - In Bewegung

Eine Verlustmeldung ist aufzugeben. Die Piratenpartei ist politisch mausetot. Die Piratenkogge ist untergegangen und wird nicht mehr auftauchen. Die Besatzung hat in den vergangenen Wochen Zug um Zug das Schiff verlassen.

Die Austrittswelle hat der Partei den Rest gegeben. Darüber muss man eigentlich nicht lange philosophieren. Die Piraten haben ihre Glaubwürdigkeit beim Wähler verspielt. Umfragen sehen sie an der Schwelle zur Unkenntlichkeit. Und doch lohnt sich ein genauerer Blick. Denn das Schicksal der Piraten ist ein Muster, wie es gehen kann in einer schnelllebiger gewordenen politischen Landschaft mit lockerer gewordener Wählerbindungen.

Die Piraten waren eine kurze, aufregende Weile lang groß in Mode. Ein schicker Name, selbstironische und intelligente Plakate. Aber niemand wusste genau, wer hinter der Partei eigentlich steckt und was genau sie will. Das war - erstaunlich, aber wahr - nicht abschreckend, sondern anziehend. Die bloße Vermutung, dass hier eine Partei im Angebot ist, die einfach "irgendwie anders" war, reichte als Magnet: für Protestwähler, für Denkzettel-Wähler, für Enttäuschte und Unzufriedene. Gerade das Unscharfe war von Nutzen, jede Festlegung hätte irgendeine Gruppe verschreckt und das Potenzial der Sympathisanten reduziert.

Das ist derselbe Mechanismus, der zur Zeit die AfD nach oben spült. Sie zieht ein ähnlich weit gespreiztes Wählerpotenzial diffus Unzufriedener an. Oder kann jemand genau angeben, wofür die Partei, die längst aufgehört hat, über das Euro-Thema zu reden, eigentlich steht? In ersten Ansätzen kann man beobachten, dass auch der zweite Teil der kurzen Piraten-Karriere von der AfD kopiert werden könnte: Die Wahlerfolge machten die Piraten erkennbar. Plötzlich gab es handelnde Personen, Köpfe, Interviewpartner, Abgeordnete. Da konnte sich niemand mehr hinter Wahlplakaten und Sprechblasen verstecken. Was man sah, war nicht erfreulich: Die Partei pflegte einen abstoßend rüden Umgangston, verhakte sich in innerparteilichen Machtkämpfen, verzettelte sich auf Nebenkriegsschauplätzen. Mit dem bekannten Ergebnis. Das sollte eine Mahnung für jene sein, die aus aktuell hochfliegenden Prozentzahlen für einen neuen Protestmagneten schon die Etablierung einer künftig stabilen Kraft herauslesen, heraushoffen wollen.

Damit könnte man die Geschichte der Piraten bewenden lassen. Man kann aber auch darauf hinweisen, dass diese Partei in ihren besten Augenblicken Dinge gezeigt hat, die für viele Bürger unsichtbar waren: Die Macht des Internets, seine Bedeutung für junge Menschen. Die Möglichkeit, politische Meinungsbildung zu beschleunigen, einen breiten, wilden, ungesteuerten, aber dadurch auch kreativen Austausch von Argumenten zu bewerkstelligen. Die Notwendigkeit, sich über Rechte, Grenzen und Chancen dieses virtuellen Raums erstmals grundsätzlich zu verständigen.

Die Piraten haben auf diese Punkte hingewiesen, zur ihrer Lösung haben sie wenig beigetragen. Aber mit ihrem Versinken in der Bedeutungslosigkeit sind diese Themen und Fragen nicht verschwunden. Sie müssen beantwortet werden. Wer also nimmt den Ball auf?

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