Kommentar zu Orbans Alleinherrschaft Perfide Strategie
Meinung | Budapest · Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban greift nach der Alleinherrschaft. Und die EU scheint hilflos. Orban nutzt in der Corona-Krise die Gunst der Stunde schamlos aus, kommentiert unser Autor.
Der ungarische Premier Viktor Orban verfolgt eine perfide Strategie. Wer wollte schon etwas dagegen sagen, dass sich die Regierung in der Coronavirus-Krise umfassende Vollmachten parlamentarisch absichern lässt? Auch in Deutschland und anderen Ländern wurden die Versammlungs- und Bewegungsfreiheit eingeschränkt, werden sogar anonymisierte Handydaten zum Erstellen von Bewegungsmustern infizierter Patienten genutzt. Wer Orbans Kurs seit Jahren verfolgt, weiß, dass er sich mit dem Brustton der Überzeugung auf eben diese Beispiele anderer Regierungen zurückziehen und voller Unverständnis alle Anschuldigungen von sich weisen würde.
Doch Orban erlässt Maßnahmen, befristet sie nicht, lässt sie in Kraft und macht sie so zu seinen Machtinstrumenten, die mit demokratischer Meinungsfreiheit und Kontrolle der Regierung nichts mehr zu tun haben. Er hat den Verfassungsgerichtshof lahmgelegt, die Richterschaft durch Gefolgsleute ersetzt. Erst Anfang des Jahres legte er einen neuen „Nationalen Grundlehrplan“ vor, dessen Einführung nun auf September verschoben wurde. Lehrerverbände, Eltern, Schüler und Professoren protestieren dagegen, sich mit den extrem nationalistischen Inhalten befassen zu müssen. Da werden antisemitische Schriftsteller zum Lehrstoff, weil – so die offizielle Begründung – die „Schüler stolz auf die Vergangenheit ihres Volkes“ werden sollen.
Die EU scheint hilflos. Das längst gültige Rechtstaatsverfahren tritt seit Jahren auf der Stelle. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen wollte zwar ein neues Verfahren. Doch in diesen Krisenzeiten im Kampf gegen das Coronavirus gibt es wichtigere Themen. Orban nutzt die Gunst dieser Situation schamlos aus, um seine Macht auszubauen. So ohnmächtig ist die EU wirklich.