Kommentar Papstbesuch in der Türkei: Papst der leisen Töne

Mal sind es die Frauen, mal ist es die Entdeckung Amerikas, kurz vor dem am Sonntag zu Ende gegangenen Papstbesuch waren es die Ausländer, die sich angeblich am Tod Muslimen erfreuen: Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan macht mit merkwürdigen und anti-westlichen Ausfällen Schlagzeilen.

Erdogans Diskurs wirkt wüst und unüberlegt, doch dahinter steckt innen- wie außenpolitisches Kalkül. Papst Franziskus vermied bei seinem Besuch in der Türkei die Konfrontation mit dem Präsidenten.

Ein gutes halbes Jahr vor der türkischen Parlamentswahl, bei der Erdogan für seine Regierungspartei AKP eine große Mehrheit zur Verankerung eines Präsidialsystems anstrebt, will der 60-Jährige die islamisch-konservativen Wähler bei Laune halten. Nach außen will er sein Land und sich selbst als führenden Fürsprecher muslimischer Belange überall auf der Welt präsentieren.

Diesem Zweck diente unter anderem Erdogans umstrittene These von der Entdeckung Amerikas durch Muslime: Kritik aus dem In- und Ausland an dieser gewagten Aussage wischte Erdogan mit dem Hinweis vom Tisch, man traue den Muslimen wohl nichts Bahnbrechendes zu. Ein Minister Erdogans schob inzwischen nach, Muslime hätten auch als erste den Beweis erbracht, dass die Erde eine Kugel ist.

Systematisch arbeitet Erdogan auf diese Weise daran, seinen islamischen Führungsanspruch auszubauen. Das Treffen mit dem Papst in Ankara und der gemeinsame Appell gegen Gewalt und Extremismus boten ihm eine Gelegenheit, diesen Kurs zu vertiefen. Demonstrativ unterstrich Erdogan die Gemeinsamkeiten mit dem Papst - für ihn ist die Einigkeit mit dem Chef von 1,2 Milliarden Katholiken und die fast gleichzeitig geäußerte scharfe Kritik an Nicht-Muslimen kein Widerspruch, sondern folgerichtig. Franziskus konterte Erdogans Verhalten mit einer Taktik der leisen Töne. Er betonte, Juden und Christen müssten dieselben Rechte haben wie Muslime. In Ankara und Istanbul ließ er sich demonstrativ recht bescheidene Fahrzeuge geben - auch dieses Zeichen der Demut wurde in der Türkei verstanden.

Dass der Papst damit bei Erdogan viel erreichen kann, ist unsicher. Dem türkischen Präsidenten geht es um die nächste Wahl und um seinen eigenen internationalen Status, für den Papst stehen andere Fragen im Mittelpunkt. Mit Erdogan Einigkeit zu demonstrieren, bringt zumindest die Chance, die als muslimische Nation wichtige Türkei mit ins Boot zu holen und sie an der Rhetorik ihres Präsidenten messen zu können, etwa was die Rechte von Christen in der türkischen Republik angeht. In Ankara und Istanbul vermied der Papst angesichts der Brandherde in Nahost eine Diskussion mit Erdogan. Wahrscheinlich tat der gut daran - noch einen Streit zwischen den Religionen kann die Welt derzeit nicht gebrauchen

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