Kommentar Olympische Winterspiele - Getrübte Freude

Irgendeiner da, der noch richtig Lust auf Olympia verspürt? Wenn ja, bitte melden! Solch Hartgesottene haben schon jetzt eine Tapferkeitsmedaille verdient. Die Spiele in Sotschi sind eröffnet, die Freude auf dieses weltgrößte Wintersportspektakel aber ist im Dauerfeuer der Kritik und von Terrorwarnungen bei Sportlern und auch Konsumenten zerbröselt wie ein alter Keks.

Vier Jahre haben sich Tausende Athleten auf ihren Karrierehöhepunkt vorbereitet. Aber statt die Widrigkeiten der Abfahrtsstrecke oder die Tücken des Eiskanals zu analysieren, werden sie auf ein Parkett geführt, auf dem es für sie praktisch unmöglich ist, Halt und Haltung zu bewahren. Wie, so die fast inquisitorische Frage, kann man in Sotschi Spaß am Sport und Wettkampf haben, angesichts von Menschenrechtsverletzungen, Umweltzerstörung, Enteignungen, Kostenexplosion und Anschlagsdrohungen?

Die Frage ist legitim, nur der Adressat ist der Falsche. Es hat Tradition, aber es bleibt trotzdem ungerecht, vor allem den Athleten politische Botschaften aufzubürden, ihnen nahezulegen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit anzuprangern, gegen Homophobie zu demonstrieren oder den Gigantismus dieser Spiele zu geißeln.

Was die Politik bilateral nicht zu lösen vermag, sollen Biathleten oder Skifahrer richten: die Welt ein Stück besser machen. Die westlichen Industrienationen vereinbaren mit Russland Milliardengeschäfte, die Moral aber sollen andere hochhalten.

Nicht die Sportler, in erster Linie das Internationale Olympische Komitee (IOC) - genauso übrigens wie der Weltfußballverband Fifa - sind aufgerufen, die Vergabekriterien für die weltweiten Großereignisse zu überdenken. Olympische Spiele in einem im zaristischen Stil regierten Land wie Russland, wo eine Welle von Geld und Zement einen subtropischen Urlaubsort in ein Wintersportresort nach Putins Vorstellungen verwandelt hat, sind genauso fragwürdig wie eine Weltmeisterschaft in einem weit von demokratischen Idealen entfernten Emirat wie Katar.

Nicht der Kandidat, der das ökologisch nachhaltigste und ökonomisch nachvollziehbarste Konzept verspricht, bekommt in der Regel den Zuschlag. Sondern derjenige, der den dicksten Profit für die Verbände und die größten Annehmlichkeiten für ihre Amtsträger verspricht. So werden auch Regimes salonfähig gemacht, die nachweislich ihre Macht missbrauchen.

Das IOC hat die olympische Idee fast zu Tode kommerzialisiert. Die Menschen wenden sich ab, wie auch "NOlympia", die Protestwahl gegen die Spiele 2022 in München zeigte. Sie wehren sich - gegen Gigantismus und Ausbeutung, nicht gegen die Sportler, nicht gegen Olympia. Die Faszination der Spiele in ihrer sportlichen Form ist ungebrochen. Nur kann man sie längst nicht mehr so unbeschwert genießen wie früher.

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