Kommentar zum verschobenen Brexit-Deal Noch mehr Chaos

Meinung | London · Die britische Regierung hat die EU um Verschiebung des Brexit-Termins gebeten. Doch das verursacht nur noch mehr Chaos, kommentiert GA-Korrespondentin Katrin Pribyl.

 Proteste am Samstag in London.

Proteste am Samstag in London.

Foto: AP/Matt Dunham

Während draußen vor dem Westminster-Palast Tausende Demonstranten mit EU-Flaggen wedelten und ein zweites Referendum forderten, verschoben die britischen Abgeordneten drinnen im Unterhaus die Entscheidung über den zwischen London und Brüssel ausgehandelten Deal. Alles wie immer in der leidigen Brexit-Saga. Premierminister Boris Johnson hat bereits in Brüssel um eine Verlängerung der Brexit-Frist gebeten.

Wie geht es weiter? Abermals stellen sich etliche Fragen, das Chaos auf der Insel wirkt größer als je zuvor.

Als wahrscheinlich gilt, dass die Regierung diese Woche das Gesetz zur Ratifizierung des Abkommens einbringt. Denn der Premier mag zwar das Votum zurückgezogen haben. Verloren hat der Regierungschef trotzdem nicht. Es scheint nur eine Frage der Zeit, bis der Premier seinen Deal durch das Parlament bringt. Johnson weiß nicht nur das Momentum auf seiner Seite nach dem EU-Gipfel letzte Woche. Helfen dürften ihm vor allem die Frustration, der Unmut und Überdruss etlicher Abgeordneter, die das Thema endlich erledigt sehen wollen.

Johnson wünscht offenbar langfristig die Rahmenbedingungen eines No-Deal-Brexits: Keine enge Anbindung an die EU, dafür ein Singapur-ähnliches Wirtschaftsmodell für das Königreich. Die Briten stünden im Wettbewerb mit den Europäern. Das kann, das darf eigentlich nicht im Sinne der oppositionellen Labour-Partei sein, aber die Sozialdemokraten schaffen es nicht, sich einig zu präsentieren.

Der Brexit mag als realitätsfremde Idee von Anti-EU-Ideologen begonnen haben. Mittlerweile hat er sich zum Monster entwickelt, das die Briten zermürbt und alle Institutionen beschädigt, wenn nicht zerstört, auf die die Briten zurecht so lange stolz waren.  Und nun wird das Resultat des Referendums vermutlich umgesetzt, weil der Großteil der Politiker genug hat von dem Gezerre und den Streitereien. Als ob das ein ausreichend guter Grund wäre, eine Entscheidung zu treffen, die das Land auf Jahrzehnte beeinflussen und verändern wird, die Menschen ärmer machen und den Einfluss des Königreichs auf der Weltbühne verringern wird.

Besonders beklagenswert ist das Versagen der pro-europäischen Kräfte im Parlament. Denn die Opposition hätte mehrmals die Chance gehabt, einen harten Brexit zu verhindern. Sie hätte mit Hilfe eines Misstrauensvotums und einer überparteilichen Übergangsregierung einen softeren Brexit aushandeln oder gar ein zweites Referendum durchsetzen können.

Falls nächste Woche Boris Johnson und die Brextremisten triumphieren, ist das vor allem die Schuld der schwachen Opposition.

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