Kommentar Leben mit Kindern - Prägungen

Deutschland ist kein kinderfreundliches Land - in diesem Satz lässt sich die gestern bekannt gewordene Studie zur Geburtenflaute zusammenfassen, traurig, aber wahr. Wo extra Gesetze zur Akzeptanz von Kinderlärm erlassen werden müssen, ist diese Erkenntnis keine Überraschung.

Dies ist aber auch keine Entwicklung, die erst gestern oder vor zehn Jahren eingesetzt hat. Schon in den 70er Jahren galten Familien mit mehr als zwei Kindern nicht mehr als Norm. Und alles, was vom Normalen abweicht, empfindet die gesellschaftliche Mehrheit als störend.

Es gibt viele Gründe, warum die Geburtenrate so erschreckend niedrig ist. Interessanterweise hebt die Studie auf die sozialen und kulturellen Einflüsse ab, die die Deutschen in ihrer Einstellung zu Familie und Kindern geprägt haben.

So leben wir zwar in einer extrem beschleunigten Zeit, doch wandeln sich Techniken, Wissen und Moden viel schneller als menschliche Prägungen. Die Mehrheit der 30-, 40- und 50-Jährigen, die im Westen groß geworden sind, haben noch die traditionelle Familie kennengelernt: die Mutter versorgt die Kinder, der Vater ist der Alleinernährer.

Im Osten, egal ob noch zu DDR-Zeiten oder nach der Wende, war die Betreuung in Krippe und Kita das Normale.

Solche Erfahrungen lassen sich nicht einfach abschütteln, sie haben sich tief in den Vorstellungen, Wünschen und Erwartungen an die eigene Lebensgestaltung eingegraben.

So will sich jede Generation zwar irgendwie von den Eltern absetzen, und findet sich dann häufiger doch wieder in der Rolle wieder, die Vater oder Mutter vorgemacht haben - und sei es, weil die Lebensumstände sich anders entwickelten als erhofft.

Diese Lebensumstände lassen sich nur bedingt vom Einzelnen beeinflussen. Sie sind zu einem Teil Zufall, der Rest aber ist von der Politik zu gestalten. Sie muss dafür sorgen, dass Männer und Frauen ihren Lebensunterhalt durch eigene Erwerbsarbeit bestreiten können und dies mit den Aufgaben als Väter und Mütter verbinden können.

Qualitativ hochwertige Ganztagsschulen und ausreichend Kita-Angebote müssen vorhanden sein. Die Unternehmen können und müssen dies unterstützen, auch indem sie sich von der Einstellung verabschieden, nur der allzeit verfügbare Arbeitnehmer, dem die Partnerin den Rücken von Familienaufgaben freihält, sei für die Karriereleiter geeignet.

Einen guten Rat hält die Studie bereit: Frauen müssten sich vom Idealbild der "guten Mutter" lösen, die alles den Bedürfnissen der Kinder unterordne. Weniger Perfektionismus, mehr Gelassenheit. Das ist ein schwer zu befolgender Rat in einer Zeit, die den Perfektionismus in so vielen Dingen auf die Spitze treibt.

Nur ist Perfektionismus nicht menschlich. Und deshalb ist er auch im Umgang mit Kindern fehl am Platz.

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