Kommentar zu den Lockerungen in NRW Gefährlicher Kurs

Meinung · Die Landesregierung erklärt zu wenig und riskiert zu viel mit ihren Lockerungen. Es stellt sich die Frage, was eigentlich von Montag an nicht erlaubt ist.

  A ls hätte es Corona nie gegeben: Menschenmassen auf der Kölner Hohe Straße Mitte Mai.

A ls hätte es Corona nie gegeben: Menschenmassen auf der Kölner Hohe Straße Mitte Mai.

Foto: dpa/Marius Becker

Eines ist der Landesregierung von Armin Laschet nicht vorzuwerfen: mangelnder Mut. Nach den jüngsten Corona-Lockerungen stellt sich die Frage, was eigentlich von Montag an nicht erlaubt ist. Selbst die lange beschworene Abstandsregel von 1,50 Meter kann vielfach gekippt werden, etwa wenn es bei Veranstaltungen mit 100 oder mehr Menschen feste Sitzplätze gibt. Das neue Mantra lautet offenbar „Rückverfolgbarkeit“. Dahinter steckt der Glaube, dass die Verbreitung des Virus beherrschbar ist, so lange nur die Infektionsketten immer nachvollzogen werden können – so viele und so weitverzweigt diese auch sein mögen. Als wären die Ressourcen der Gesundheitsämter unendlich. Auf welche wissenschaftliche Grundlage die Landesregierung ihr neues Vorgehen stützt, ist dabei unklar.

Überhaupt gab sich Laschet zuletzt keine große Mühe mehr damit, den Bürgern seinen Lockerungskurs zu erläutern. Die jüngsten Schritte kamen überraschend, an einem Feiertag. Die breite Öffentlichkeit wartete bis zum Wochenende vergeblich auf Erklärungen. Das ist so gefährlich, wie die Lockerungen selbst es sind. Denn auf diese Weise vermittelt die Landesregierung den Eindruck, als bedürfe es keinerlei Begründungen mehr, weil die Gefahr ohnehin gebannt ist.

Dabei stellen sich insbesondere Eltern von Grundschulkindern viele Fragen. Von Montag an soll in den Klassen eins bis vier normal unterrichtet werden. Die Notbetreuung ist aufgehoben, weil die Offenen Ganztagsschulen (OGS) ebenfalls wieder in den Regelbetrieb gehen sollen. Doch aus den Schulen erhalten viele Eltern andere Informationen: Wegen des Personalmangels wird der Unterricht vielfach schon nach drei Stunden wieder enden. In welchem Umfang die OGS dann einspringen kann, wird sich oft erst kurzfristig erweisen. Das ist für berufstätige Eltern, die auf Planbarkeit zwingend angewiesen sind, der denkbar ungünstigste Fall.

Mutig sind die jüngsten Lockerungen der Laschet-Regierung aber auch noch aus anderem Grund. Wenn eine Öffnung der Grundschulen unter Missachtung der Abstandsregeln möglich ist, warum gilt dies dann nicht auch für weiterführende Schulen? Schulministerin Yvonne Gebauer begründete die Unterscheidung zuletzt damit, dass jüngere Kinder weniger ansteckend seien. Einen wissenschaftlichen Beleg dafür gibt es nicht. Der Gerichtsbeschluss könnte die Schulministerin noch in Bedrängnis bringen.

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