Kommentar zur Corona-Krise Corona stellt die Gesellschaft auf die Probe

Meinung | Bonn · In der Corona-Krise ist nun die Stunde des Staates gekommen. Der greift hart durch und schränkt unveräußerliche Freiheitsrechte ein. Die Politik bekommt dafür einen Vertrauensvorschuss, dem sie gerecht werden muss, wenn die Krise vorüber ist, kommentiert GA-Chefredakteur Helge Matthiesen.

 Wann die Corona-Krise überwunden sein wird, ist längst nicht abzusehen. Der Staat muss drastische Maßnahmen ergreifen.

Wann die Corona-Krise überwunden sein wird, ist längst nicht abzusehen. Der Staat muss drastische Maßnahmen ergreifen.

Foto: dpa/Christoph Soeder

Wir befinden uns in Woche zwei der Krisenbeschleunigung, und ein Ende ist nicht in Sicht. Angela Merkel hat von der größten Belastungsprobe seit 1945 gesprochen. Das ist nicht falsch. Die Kanzlerin beschreibt die Dimension der Herausforderung – und setzt doch einen falschen Ton. Wir stehen vor gewaltigen wirtschaftlichen Umwälzungen, Betriebe sind von Insolvenz bedroht. Viele Tausend Menschen werden ihren Job verlieren. Wir müssen von zu Hause arbeiten, uns um unsere Kinder und um die alten Menschen kümmern.

Doch all das sind andere Fragen als 1945. Heute geht es nicht um das nackte Überleben. Damals waren Millionen Menschen auf der Flucht, kämpften gegen Hunger und Seuchen, starben bei Kämpfen oder erfroren. Die Frage nach Leib und Leben stellt sich nur für all jene, die gesundheitlich angeschlagen sind und deswegen das Virus fürchten müssen. Um sie geht es jetzt.

Mit dieser Haltung lassen sich überschaubare Härten wie das Fehlen von Mehl oder Klopapier im Supermarkt leicht überstehen. Wer jetzt pedantisch nach den Fehlern sucht, die andere gerade machen – so wie viele es schon immer gerne tun – wird seine eigenen Fehlleistungen nicht erkennen.

Darin liegt das viel größere Problem, denn in dieser Situation ist zunächst jeder für sich selbst verantwortlich. Rücksicht ist gefragt und auch ein wenig Nachsicht. Wir können uns die Krisentage und die Ungewissheit gegenseitig zur Hölle machen – oder wir nutzen diese Zeit, um die Umstände angenehmer werden zu lassen.

Es ist die Stunde des Staates. Der greift hart durch und schränkt unveräußerliche Freiheitsrechte ein. Er schert sich auch nicht groß um unverzichtbare demokratische Entscheidungsprozesse. Das ist in Notsituationen kaum zu vermeiden. Der Staat und die Politiker bekommen damit einen Vertrauensvorschuss, dem sie gerecht werden müssen, sobald die Krise vorüber ist.

Wir brauchen daher in absehbarer Zeit klare Aussagen, wie wir aus der Situation wieder herauskommen. Weil wir gerade bei den historischen Vergleichen sind: Die Nazi-Diktatur begann mit Notverordnungen, die dann einfach nicht mehr aufgehoben wurden. An diesem Punkt sind wir gewiss nicht. Aber vergessen sollten wir diesen Umstand nicht.

Der Staat muss Pläne machen, wie er nach der Krise für Gerechtigkeit sorgen will: Wie hilft er den Opfern des wirtschaftlichen Einbruchs? Was macht er mit den Krisenprofiteuren, die es in jedem Fall geben wird? Diese Herausforderung ist gewaltig, denn eine gerechte Verteilung der Lasten ist die Basis für  Vertrauen in unsere Gesellschaftsordnung. Die Politik ist weiter im Krisenmodus. Aber wir brauchen einen Plan, wie wir wieder zu einer Normalität kommen.

Es wird eine Menge Unternehmen geben, die diese Krise nicht überleben. Wer heute schon wirtschaftlich angeschlagen ist, rutscht schnell in die Pleite. Die Restaurantkette Vapiano ist ein erstes Beispiel. Der Einzelhandel gerät unweigerlich unter Druck, wenn Menschen sich noch stärker an das Bestellen gewöhnen.

Die Digitalisierung bekommt in jedem Fall einen Schub. Jeder wird jetzt erkennen, wie wichtig der Ausbau von Datennetzen und die Pflege der Infrastruktur sind. Mag sein, dass die Kommunen und Behörden, die Schulen und das Bildungswesen endlich stärker davon erfasst werden und sich zum Nutzen der Bürger verbessern. Die Krise beschleunigt Prozesse, die heute schon laufen. Die guten wie die problematischen. Helfen wir mit, dass sich die guten durchsetzen.

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