Kommentar zum Fall Anis Amri Die ganze Wahrheit

Meinung | Düsseldorf/Berlin · Nach der Zeugenaussage eines NRW-Polizisten dementiert das Innenministerium, BKA und Minister hätten eine Quelle abschalten wollen. Die ganze Wahrheit muss auf den Tisch, kommentiert Gregor Mayntz.

 Eine Schneise der Verwüstung ist auf dem Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz in Berlin zu sehen, nachdem der Attentäter Anis Amri mit einem Lastwagen über den Platz gerast war.

Eine Schneise der Verwüstung ist auf dem Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz in Berlin zu sehen, nachdem der Attentäter Anis Amri mit einem Lastwagen über den Platz gerast war.

Foto: dpa/Bernd von Jutrczenka

Wenn sich ein Mensch allein in seiner Wohnung radikalisiert, ohne Kontakt zur Außenwelt einen Anschlag vorbereitet und dann zuschlägt, kann der Staat an seinem Radar für verdächtiges Verhalten basteln, ist ansonsten jedoch machtlos. Wenn aber einer wie Anis Amri einen Anschlag mit 13 Toten und über 70 Verletzten begeht, vorher von Informanten der Sicherheitsbehörden regelrecht umzingelt wurde, immer wieder als mögliche Gefahr im Terrorabwehrzentrum benannt und bei Kontakten mit der Terrormiliz belauscht worden war, dann hat es ein gewaltiges Behördenversagen gegeben.

So viel stand auch schon am Ende der Arbeit der ersten Untersuchungsausschüsse  in Berlin und Düsseldorf fest. Es störte an diesen Befunden, dass große Teile der behördlichen Aufklärung darauf gerichtet waren, die eigenen Anteile am Versagen zu minimieren und die der anderen Behörden zu maximieren. Wie gut es war, einen weiteren Untersuchungsausschuss einzusetzen und jeden Stein ein weiteres Mal umzudrehen, zeigt sich nun nach der sensationellen Aussage eines Hauptkommissars vom Landeskriminalamt aus NRW.

So befremdlich es ist, dass der Beamte erst jetzt mit der Enthüllung über die Intervention  „von oben“ herausrückt, so erwartbar ist, dass die unter Verdacht geratenen BKA und Innenministerium erst einmal dementieren, sie hätten die wichtigste Amri-Kontaktperson in NRW kaltstellen wollen. Doch mit der Aussage nähert sich der Ausschuss einem Graubereich. Dieser wird etwa von Hinweisen aus dem Kreis der Opferangehörigen definiert, die von Vertretern des Staates mit Zugang zu Geheimakten erfahren haben wollen, es sei letztlich gut für sie, „nicht alles zu erfahren“, was bei dem Attentat eine Rolle gespielt habe.

Genau an diesem Punkt ist der neue Untersuchungsausschuss jetzt: Der LKA-Beamte hat ihm möglicherweise das Ende eines roten Fadens gereicht, an dem entlang er sich vorarbeiten kann. Natürlich ist es schwierig, einen Bereich zu durchleuchten, in dem auch diejenigen enttarnt werden könnten, die den Behörden bislang dabei halfen, weitere Anschläge zu verhindern. Und es ist auch richtig, dass die Behörden intern die Strukturen und Abläufe so verändert haben, dass ihnen nach ihrer Überzeugung ein Fall Amri nicht noch einmal passiert. Doch sie glaubten schon einmal, alles richtig zu machen und lagen dramatisch falsch. Deshalb muss die ganze Wahrheit auf den Tisch.

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