Kommentar zur Regionalwahl in Frankreich Keine Entwarnung

Es ist das Paradox dieser französischen Regionalwahlen, dass die Front National zwar keine der Regionen erobern konnte - aber dennoch viel gewann. Die Abstimmung wurde wie üblich erst im zweiten Durchgang entschieden - und doch war es die erste Runde, die ein politisches Erdbeben auslöste.

Denn zunächst positionierten sich die extremen Rechten mit einem Rekordergebnis an der Spitze von sechs der 13 Regionen und ließen sowohl die konservativen Republikaner als auch die regierenden Sozialisten hinter sich.

Die gestrige Steigerung der Wahlbeteiligung weist zwar darauf hin, dass viele der Wunsch an die Urnen trieb, die Front National zu verhindern. Marine Le Pen bleibt aber die heimliche Siegerin der Abstimmung, auch wenn sie sogar in ihrer eigenen Bastion im Norden unterlag. Und obwohl es der Partei nicht gelang, ihre kühnsten Träume wahr zu machen und bis zu vier Regionen zu erobern, erlebt sie einen Triumph.

Denn einmal mehr stand Le Pen im Zentrum aller Debatten und trieb die anderen Parteien vor sich her. Mehr denn je kann sie sich nun als Opfer eines Systems darstellen, das dem "Sprachrohr des Volkes", als das sie sich so gerne bezeichnet, den Weg versperrt. Denn die Front National scheiterte, weil es ihr anders als den bürgerlichen Parteien an Möglichkeiten fehlt, dank Zusammenlegungen von Wahllisten anderer Bewegungen genügend Stimmen für einen absoluten Sieg zu sammeln. In ihren beiden stärksten Regionen im Nord- und Südosten versperrten ihr zudem die Sozialisten mit einer "republikanischen Front" den Weg, indem sie die eigenen Kandidaten zurückzogen, um die Gewinnchancen der Konservativen zu erhöhen.

Dieses Kalkül ist aufgegangen, aber zurück bleibt die Erkenntnis, dass es solcher umstrittener und für die Sozialisten schmerzhafter Strategien bedarf, um die Front National am Regieren zu hindern. Wie bei allen Wahlen der letzten Jahre hat sie ihre regionale Macht ausgebaut, auch im Westen und im Zentrum des Landes, wo sie lange nicht Fuß fassen konnte. Das gilt als Voraussetzung für ein gutes Ergebnis, vielleicht sogar ein Erreichen der Stichwahl bei der Präsidentschaftswahl 2017 - und nur dieses Ziel ist Le Pen wichtig.

Seit die 47-Jährige an der Parteispitze steht, erschüttert sie Frankreichs politische Landschaft, in der sich bislang zwei Kräfte um die Macht stritten. Eben auf diesem Mangel an Alternativen fußt ihr Erfolg. Es ist ein beunruhigendes Signal für Frankreich, dass für immer mehr Menschen und besonders für Jungwähler ausgerechnet die Partei für eine bessere Zukunft steht, die den Rückwärtsgang in mehrerlei Hinsicht bewirbt: Das reicht von der "Dekonstruktion" Europas mit - vermeintlich möglicher - Rückkehr zu einem souverän entscheidenden Frankreich über jene zum Franc als Zahlungsmittel bis hin zum Versprechen, die Zeit zurückzudrehen, indem die Todesstrafe wieder eingeführt, die Homo-Ehe abgeschafft und Abtreibung strikt begrenzt wird. Solche Versprechen kommen an bei immer mehr Menschen. Die Front National scheint vorerst geschlagen - seine Ideen bleiben präsent.

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