Kommentar zur Diskussion um die Lockerungen Kassandraruf

Meinung · Bundeskanzlerin Merkel hat keine Gelegenheit ausgelassen, angesichts der Verbreitung des Coronavirus auf den Ernst der Lage zu verweisen. Doch manche Länder, allen voran NRW, fahren einen gegensätzlichen Kurs. Die Krise ist eine Probe für den Föderalismus.

  I n der Coronakrise offenbar unterschiedlicher Auffassung: Kanzlerin Angela Merkel und NRW-Ministerpräsident Armin Laschet.

I n der Coronakrise offenbar unterschiedlicher Auffassung: Kanzlerin Angela Merkel und NRW-Ministerpräsident Armin Laschet.

Foto: dpa/Friso Gentsch

Im Bundestag am Donnerstag hat Bundeskanzlerin Angela Merkel erneut einen Kassandraruf erklingen lassen. „Zu forsch“ ist ihr in Teilen die Geschwindigkeit, in der manche Bundesländer wie Nordrhein-Westfalen das öffentliche Leben und die Wirtschaft wieder hochfahren.

Doch während Merkel die Länder zur Ordnung ruft, sind dort längst schon wieder neue Lockerungsübungen zur Öffnung von Hotels und Gaststätten oder dem gemeinsamen Feiern von Gottesdiensten im Gang. Immer mehr verfestigt sich die Frontstellung, in der die Kanzlerin und der bayerische Ministerpräsident im Kampf gegen das Coronavirus auf andauernde Einschränkungen setzen, während NRW mit wechselnden Verbündeten auf eine Wiederbelebung des öffentlichen Lebens setzt. Nach den herkömmlichen politischen Mustern von links und rechts lässt sich dieser Streit nicht sortieren. Vielmehr ergeben sich die Positionen aus einer komplizierten Gemengelage des Infektionsgeschehens im jeweiligen Bundesland, der wissenschaftlichen Berater der Staatskanzleien und – nicht zu unterschätzen – der Lobbyarbeit der Wirtschaftsverbände.

Wer mit seiner Strategie richtig liegt, wird man wohl erst im Sommer wissen. Klar aber ist: Sollten die Länder mit den schnellen Lockerungen falsch liegen, wird der Schaden größer sein als durch eine zu zögerliche Rückkehr zur Normalität. Denn wenn das Virus sich wieder verbreiten kann und es zu einer zweiten Infektionswelle kommt, wird auch ein zweiter Lockdown notwendig sein. Und der dürfte noch härter ausfallen als der erste.

In diesen Wochen steht so viel auf dem Spiel: die Gesundheit der Bevölkerung, die Wirtschaftskraft des Landes und die Organisation des Staatswesens. Die Krise ist auch eine Probe für den Föderalismus. Die Einführung der nun bundesweiten Maskenpflicht war ein Beispiel dafür, wie es eben nicht laufen sollte. Gleiches gilt für die Bildungspolitik. Dass die Schulen zu unterschiedlichen Zeitpunkten wieder öffnen, ist schon schwer zu vermitteln. Dass aber in einem Land die Abschlussprüfungen für die zehnte Klasse geschrieben werden, im Nachbarland aber nicht, verursacht mehr Schaden als nur ein Akzeptanzproblem. Nächste Woche müssen die Länderchefs in ihrer Konferenz mehr Einigung schaffen, ansonsten büßen sie erheblich an Glaubwürdigkeit ein.

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