Kommentar Im Hinterzimmer

Brüssel · Arbeitsreiche Tage für Herman Van Rompuy. Soeben hat der Vormann des Europäischen Rates die Fraktionsvorsitzenden des Europa-Parlaments getroffen. Jetzt sind die Staats- und Regierungschefs an der Reihe.

Auf dem Gipfel nächste Woche soll dann das Ergebnis der Sondierungen abgesegnet werden: die Lösung des großen Personalrätsels, das die EU entzweit.

Was Van Rompuy da treibt, ist - wie auch sonst? - klassische Hinterzimmer-Diplomatie: vertraulich, undurchsichtig, von Gerüchten umwabert. Die Mutmaßungen der Insider sehen so aus: Es geht nicht mehr um ein Personal-Paket, in dem auch die Posten des Außenbeauftragten, des Chefs der Eurogruppe und Van Rompuys eigene Nachfolge stecken. Es geht vorderhand einzig um die Leitung der EU-Kommission. Dafür ist nach den unversöhnlichen Festlegungen des britischen Premiers Cameron kein Einvernehmen mehr in Sicht. Van Rompuy wird deshalb dem Gipfel vorschlagen, trotz des Widerstands der Briten den Luxemburger Juncker zum Nachfolger von Kommissionschef Barroso zu nominieren.

Das hätte nachhaltige Folgen. Da wäre zum einen eine geänderte Verfassungswirklichkeit durch das umstrittene Spitzenkandidaten-Verfahren: Die Parteien nominieren Bewerber, die Regierungen registrieren, wer beim Bürger am besten angekommen ist und machen einen entsprechenden Vorschlag, der dann vom Parlament besiegelt wird. Das wäre der neue Gang der Dinge - (noch) keine Direktwahl im engeren Sinne, aber kurz davor.

In Deutschland, aber nicht nur dort, wird gern so getan, als sei dieser Ablauf ein dreister Coup des SPD-Spitzenkandidaten Martin Schulz, der unter Verbiegung der Spielregeln Barrosos Stuhl erklimmen wollte. Doch die Idee der Spitzenkandidaturen wurde in einem jahrelangen Prozess parteiübergreifend entwickelt und vorangetrieben und von allen maßgebenden europäischen Parteifamilien tatkräftig vollzogen. Keiner hat den Europäischen Rat, der institutionell nun das Nachsehen hat, gehindert einzuschreiten und zu erklären: Nicht mit uns! Tatsächlich haben Merkel, Cameron und Co. die Sache komplett verschlafen. Ein Schaden für den Bürger ist indes nicht erkennbar. Vor allem ist nicht zu sehen, warum es ein Rückschritt sein soll, wenn auf einen Barroso ein Juncker folgt.

Ein Problem ganz anderer Dimension wäre der Austritt Großbritanniens aus der EU, der mit der Ernennung Junckers ein gefährliches Stück näher kommen könnte. Cameron hätte von der Bundeskanzlerin vorzeigbare Zugeständnisse bei seinem Drängen auf durchgreifende EU-Reformen bekommen können. Stattdessen hat er sich von Pitbull-Presse und den Euro-Skeptikern in der eigenen Partei und der Konkurrenz Ukip auf ein Himmelfahrtskommando schicken lassen: "Juncker verhindern, koste es, was es wolle!"

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