Kommentar Friedensnobelpreis für die EU - Ausgezeichnet!

Wir sind Europa. Darum: Herzlichen Glückwunsch an uns alle! Wir können stolz darauf sein, in einem Staatenverbund zu leben, der seit mehr als sechs Jahrzehnten für Frieden sorgt - und zwar ausgerechnet dort, wo im 20. Jahrhundert zwei Weltkriege ihren Ausgang nahmen. Wo gibt es das noch einmal auf der Welt, dass aus bis aufs Blut verfeindeten Nationen Freunde geworden sind? Deutschland und Frankreich etwa: Das ist eine Erfolgsgeschichte, die Europa bis zum heutigen Tag vorantreibt und über die europäischen Grenzen hinaus beispielhaft dafür ist, was gute Nachbarschaft ausmacht.

Nun könnte man meinen, der Friedensnobelpreis für die EU komme zu spät. Gewürdigt würden Selbstverständlichkeiten, die gerade jetzt, im Zuge der Eurokrise, infrage gestellt würden. Andersherum wird ein Schuh daraus: Der Friedensnobelpreis kommt gerade recht. Er erinnert daran, dass dieses Europa immer mehr war als ein wirtschaftliches Wohlstandsprojekt.

Schon die Montanunion hatte zum Ziel, genau jene Industriezweige unter gemeinschaftliche Kontrolle zu bringen, die besonders kriegsrelevant waren. Es folgten die EWG, die EG, die EU und die Währungsunion. Auch und gerade Letztere diente und dient zuerst politischen Zielen. Das wird gerne vergessen oder sogar gezielt verschleiert.

Diese Verschleierungstaktik trägt die Hauptverantwortung dafür, dass bei den Bürgern Europas längst überwunden geglaubte Nationalismen und Egoismen aufleben. Beim Geld hört bekanntlich die Freundschaft auf, auch zwischen Staaten. Und die Sorge, dass aktuell eine Nation die andere übervorteilt, birgt die Gefahr, dass die stetige Vertiefung und Erweiterung Europas nicht nur ins Stocken gerät, sondern zurückgedreht wird.

Wir Deutsche stehen dabei einmal mehr, nicht nur geografisch, im Mittelpunkt. Wir müssen den Laden zusammenhalten und die vergleichsweise größten finanziellen Risiken eingehen. Zugleich müssen wir aushalten, dass einerseits die halbe Welt nach deutscher Führung schreit, während andererseits deutsche Regierungs- und Zentralbankvertreter auf den europäischen Bühnen zunehmend isoliert werden. Zu allem Überfluss wird die deutsche Bundeskanzlerin dann bei ihrem Besuch in Athen von jenen Griechen, die wir retten sollen und wollen, mit Hitler-Plakaten empfangen. Manchmal tut dieses Europa verdammt weh!

Der Friedensnobelpreis wirkt da wie ein Gegengift. Er rückt das Ver-rückte gerade. Bleibt nur die Frage, wer den Preis eigentlich entgegennehmen soll. Vielleicht wäre es eine noch (!) bessere Idee des Nobelkomitees gewesen, stellvertretend für die EU einen der großen lebenden Europäer auszuzeichnen: Jean-Claude Juncker etwa oder Jacques Delors. Oder Helmut Kohl. Menschen wie sie sind das Herz Europas.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Die Demokraten zeigen Zähne
Kommentar zur Situation der AfD Die Demokraten zeigen Zähne
Zum Thema
Ende der Naivität
Kommentar zu russischer Spionage in Deutschland Ende der Naivität
Aus dem Ressort