Kommentar Frankreich nach der Wahl - Brutaler Stimmungstest

Eine böse Klatsche haben die Sozialisten um Präsident François Hollande von den Kommunalwahlen in Frankreich längst erwartet und deren nationale Bedeutung sicherheitshalber von vornherein kleingeredet. Wie heftig sie ausfiel, überrascht und schockiert sie jetzt aber doch.

Das lokale Votum muss zwangsläufig als Stimmungstest und brutale Sanktion der Regierung in Paris interpretiert werden. Und, etwas weiter gefasst, der beiden großen Volksparteien überhaupt.

Alarmierend ist, dass beim ersten Wahldurchgang am Sonntag vor allem zwei Lager triumphierten: das der Rechtspopulistin Marine Le Pen und das der Nichtwähler. Die Rekordenthaltung von fast 40 Prozent spiegelt die Vertrauenskrise, in der sich die französische Politik befindet.

Wer seine Stimme doch abgab, tat das oft für Le Pens rechtsnationalen Front National. Dieser liegt in einer Reihe von Städten und Gemeinden an erster oder zweiter Stelle noch vor Sozialisten und Konservativen. Nach dem spektakulären Erfolg bei den Präsidentschaftswahlen 2012, wo Le Pen mit 17,9 Prozent bereits drittstärkste politische Kraft wurde, kann er sich damit auch auf lokaler Ebene etablieren, wo bislang noch die Strukturen fehlten. Der Front National droht das durch das Mehrheitswahlrecht bedingte französische Zwei-Parteien-System dauerhaft aufzubrechen.

Vor allem beschränkt sich die Präsenz der extremen Rechten in Frankreich künftig nicht mehr nur auf ihre Hochburgen im Nordosten, der massiv unter Desindustrialisierung und Massenarbeitslosigkeit leidet, und dem von vielen Algerienfranzosen bewohnten Südosten, die der hohen Einwanderung gerade in dieser Region kritisch gegenüberstehen.

Vielmehr ist der Front National dabei, das ganze Land mit seiner "Marine-blauen Welle" zu überziehen. Längst schämt man sich nicht mehr, dessen ausländer- und muslimfeindlichen und europakritischen Thesen offen zuzustimmen, zumal sie Marine Le Pen ansprechender und weniger radikal formuliert als ihr streitbarer Vater, Parteigründer Jean-Marie Le Pen. Ihr Versuch der "Entdämonisierung" der einstigen Außenseiter-Partei ist gelungen.

Die Herausforderung besteht nun darin, die Schwachstellen ihres Programmes aufzudecken, das nur Scheinlösungen verspricht. Le Pen punktet auch mit der generellen Kritik an der Elite und dem Versprechen, "volksnäher" zu regieren, auch wenn sie den Beweis dafür noch schuldig geblieben ist.

Ihre Stärke bedingt sich durch die Schwäche der konservativen Opposition einerseits, die sich mit internen Führungsstreitigkeiten aufreibt und von Korruptionsvorwürfen erschüttert wird. Und Hollandes Unfähigkeit andererseits, eine klare politische Linie zu verfolgen und dem Land mit einer entschlossenen Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik wieder Selbstvertrauen zu geben.

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