Kommentar Flüchtlingsgipfel - Viele Irrtümer

BRÜSSEL · Die Rechnung ist nicht aufgegangen. Am Anfang dieser Flüchtlingskrise mag man in Berlin, Wien oder Stockholm noch gedacht haben, mit der Politik der offenen Grenzen könne man einen Sog entfachen, dem sich die übrigen EU-Ländern am Ende nicht würden entziehen können.

Doch das hat sich als Irrtum herausgestellt. Denn zu den Kriegsopfern, deren Recht auf Asyl niemand infrage stellt, sind zu viele andere gekommen, die zwar verständlicherweise auf ein besseres Leben als in ihrer Heimat gehofft haben, aber dazu das Instrument des Asylrechts missbrauchen.

Sie lassen der Gemeinschaft keine andere Wahl, als ausgerechnet zu den Prinzipien jenes Dublin-Abkommens zurückzukehren, die alle eigentlich bereits zu Grabe getragen haben.Nun ist die strikte Überwachung der Außengrenze dieser Union das Allheilmittel, eine verschärfte Kontrolle, die es tatsächlich bisher nie gegeben hat.

Doch um diesen richtigen Weg der Eindämmung des Zuwandererstroms gehen zu können, muss man eben das tun, was in den zurückliegenden Monaten zwar gefordert, aber ganz anders verstanden wurde: solidarisch handeln. Viel zu langsam wuchs die Erkenntnis, dass mit der Verlagerung der Verantwortung zur Erfassung, Registrierung und Sortierung der Flüchtlinge die Grenzstaaten überfordert sind.

Das gilt für praktisch alle Länder - von Ungarn über Mazedonien, Serbien, Kroatien bis nach Slowenien. Von Griechenland und Italien ganz zu schweigen. Gestern haben die Regierungschefs der Region und die Spitzen der größten Aufnahmeländer nichts anderes versucht, als die Situation wieder herzustellen, die längst gekippt schien: nicht erst alle reinlassen, um sie dann zu sortieren und wieder abzuschieben.

Sondern erst kontrollieren und dann nur die einreisen lassen, die auch ein Recht auf Asyl haben. Das ist das, was Europa tun kann. Von einer Befriedung Syriens mag man träumen, in Sicht ist sie nicht. Die EU muss das Problem an ihren Grenzen lösen, nicht erst viel später.

Diese Einsicht wäre zweifellos früher besser und effizienter gewesen. Aber die Länder, die wie Deutschland zunächst einmal willig alle Tore geöffnet haben, wollten das nicht wahrhaben. Nun reagiert man spät, wohl nicht zu spät, aber ganz sicher nicht rechtzeitig genug, um viele abzuwehren, die sich nicht auf die Garantien des Asyls berufen können und dürfen.

Und so fängt man nach diesem Treffen dort an, wo man eigentlich schon vor der Sommerpause hätte beginnen müssen: Sicherung der Grenzen, Abstimmung und Koordination anstatt nationalstaatlichem Zäune-Ziehen, Stärken der besonders betroffenen Einreiseländer.

Denn zu den Lehren des bisherigen Auseinanderfallens der EU gehört auch die Erkenntnis, dass der Egoismus einzelner Länder auch kein Weg zur Entspannung ist. Weder die Grenzsicherung Ungarns noch die Schikanen der Flüchtlinge durch andere Staaten haben abgeschreckt. Die Menschen fliehen weiter nach Europa.

Der Versuch Jean-Claude Junckers, das Chaos durch Steuerung und Lenkung zu überwinden, ist vielleicht ein erster Schritt, um den Wert und die Wirkung gemeinschaftlichen Handelns wieder in Erinnerung zu rufen.

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