Kommentar Evangelische Kirche - Bedeutungsverlust

Der überraschende Rücktritt des höchsten Repräsentanten der deutschen Protestanten hat ein zwiespältiges Echo ausgelöst: Auf der einen Seite schlägt Nikolaus Schneider, dem Vorsitzenden des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), viel Mitgefühl und Sympathie entgegen.

Denn es ist nach wie vor ungewöhnlich, dass jemand wegen der schweren Erkrankung seiner Frau ein hohes Amt aufgibt - sieht man von Franz Müntefering einmal ab, der für seine krebskranke Frau auf die Vizekanzlerschaft verzichtete, oder von Frank-Walter Steinmeier, der sich für viele Wochen vom Posten des Fraktionsvorsitzenden der SPD im Bundestag verabschiedete, um seiner Frau eine Niere zu spenden.

Das sind zugleich drei Beispiele für die ungebrochene Bedeutung der Ehe für den Menschen in einer Gesellschaft, in der es angeblich nur noch um Karriere und Konsum geht. Auch stehen diese drei prominenten Beispiele für ungezählte andere, in denen ein Ehepartner den anderen an Krebs oder Demenz erkrankten Partner aufopferungsvoll pflegt, große finanzielle Probleme schultert und sich auch von schweren Schicksalsschlägen nicht entmutigen lässt. So wird der EKD-Ratsvorsitzende zu einem Vorbild für viele andere.

Auf der anderen Seite stellen nicht wenige die Frage, was nun aus der evangelischen Kirche wird, die unter Kirchenaustritten, abnehmenden finanziellen Mitteln, zunehmendem Pfarrermangel und schwindender öffentlicher Bedeutung leidet.

Wenn Schneider Anfang November sein Amt in jüngere Hände legt, mangelt es nicht an einem geeigneten Nachfolger. So wie Schneider nach dem Rücktritt von Margot Käßmann schnell in deren Schuhe als EKD-Ratsvorsitzende schlüpfte, so wird er (voraussichtlich) im bayerischen Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm einen überzeugenden Nachfolger finden.

Und wenn Ende 2015 die Synode der EKD turnusmäßig einen neuen Rat wählt, wird Bedford-Strohm in der westfälischen Präses Annette Kurschus oder der mitteldeutschen Landesbischöfin Ilse Junkermann eine gute Stellvertreterin erhalten. Insgesamt wird der dann zu wählende Rat wegen des altersbedingten Ausscheidens vieler gegenwärtiger Mitglieder keinen Mangel an geeigneten Führungspersönlichkeiten haben. Das größte Problem ist für die EKD - übrigens auch für die katholische Kirche - der wachsende Bedeutungsverlust.

Dies wird im Blick auf den 500. Jahrestag der Reformation im Jahr 2017 besonders schmerzlich zu Tage treten. Diesen Bedeutungsverlust kann keine einzelne Persönlichkeit umkehren. Hier ist die gesamte Kirche gefragt. Dennoch wird man Nikolaus Schneider sehr vermissen, dessen Menschlichkeit so überzeugend ist und die nun durch seinen Amtsverzicht zusätzlich unter Beweis gestellt worden ist.

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