Kommentar zur neuen EU-Ratspräsidentschaft EU in Gefahr

Die Herausforderungen, denen sich der niederländische EU-Ratsvorsitz stellen muss, sind groß. Viele Probleme der EU bleiben ungelöst und sind ins neue Jahr mitgeschleppt worden. Dabei hat sich 2015 vieles bewegt, nicht zuletzt durch die Impulse, die der nun scheidende luxemburgische Vorsitz setzte.

Diese gilt es nun aufzugreifen - und zu verstärken. Denn Premier Mark Rutte hat Recht, wenn er sagt, dass es nicht an der Qualität der Beschlüsse, die getroffen wurden, mangelt. Sondern vielmehr an ihrer Umsetzung.

Die einfache Redewendung "auf Worte müssen auch Taten folgen" droht in der Runde der immer stärker zerstrittenen EU-Mitglieder zur Utopie zu verkommen. Dabei steht längst auch das Projekt Europa auf dem Spiel. 2016 darf nicht zu einem weiteren Jahr werden, in dem die Gemeinschaft sich selbst ausbremst. Die Solidarität muss zur Wirklichkeit werden, aus Scheinzusagen bei der Aufnahme von Flüchtlingen Realität. Bis zum Sommer sollte der neue EU-Grenzschutz funktionieren - hier Zeit zu verlieren, kann sich die Union nicht erlauben. Andernfalls droht sich der immer stärker aufkeimende Populismus in Europa fest einzunisten.

Dabei sind die Probleme, vor denen die EU steht, kaum mit einzelstaatlichem Egoismus zu bewältigen. Stattdessen braucht es Zusammenhalt - mehr denn je. Es wird vor allem diese Aufgabe sein, der sich die Niederlande widmen müssen. Zum zwölften Mal in der Geschichte der Gemeinschaft hat das Gründungsmitglied den Vorsitz inne. Die wertvolle Erfahrung kann sich nun als nützlich erweisen, auch oder vielleicht sogar gerade weil sich seit dem letzten Mal vieles geändert hat.

2005 stand die EU beinahe vor ihrem Zusammenbruch, als erst Frankreich und dann die Niederlande Nein zu einer Verfassung für Europa sagten. Ein Problem ist geblieben: Der Lissabon-Vertrag konnte nur Kit sein für das, was eine Verfassung erreicht hätte. Und die EU-Skepsis, die sie damals verhinderte, ist seither sogar noch größer geworden. Ihr kann man nur entgegentreten, in dem man die Fehler von damals nach und nach behebt.

Allerdings auch die Revision von vermeintlich problemlösenden Abkommen wie Dublin, das die Aufnahme von Flüchtlingen im ersten EU-Land vorsieht. Ein neues Asylrecht ist die wohl dringlichste Baustelle, der sich die Gemeinschaft widmen muss. Dass es vertraglich gesicherte Ausnahmefälle wie Großbritannien und Dänemark gibt, lässt sich nicht mehr ändern. Umso wichtiger ist es nun, alle anderen für eine verpflichtende - dauerhafte Verteilquote - zu einen.

Gleichzeitig gilt es, den Briten für ihren Verbleib in der Union etwas anzubieten, ohne sich als EU anzubiedern. Ein Austritt Großbritanniens wäre Gift für das Projekt Europa. Aber wenn die Union für ihren Erhalt ihre Seele verkauft und die Reisefreiheit preisgibt, ist sie womöglich ebenso gefährdet. Diesen Spagat muss Rutte meistern - und alle Seiten dazu bringen, aufeinander zuzugehen. Andernfalls droht mehr als eine kleine Sportverletzung. Die EU könnte bewegungsunfähig werden.

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