Kommentar zum Bevölkerungswachstum Hinter der Zahl

Meinung | Bonn · Die Kurve steigt weiter an, aber ist flacher. Das zeigt die aktuelle Bevölkerungsschätzung. Hinter der Zahl stecken jedoch viele offenen Fragen, kommentiert Chefredakteur Helge Matthiesen.

 Dicht gedrängt laufen Menschen über die Königsallee in Düsseldorf. In Deutschland leben immer mehr Menschen, aber das Bevölkerungswachstum schwächt sich ab.

Dicht gedrängt laufen Menschen über die Königsallee in Düsseldorf. In Deutschland leben immer mehr Menschen, aber das Bevölkerungswachstum schwächt sich ab.

Foto: dpa/Martin Gerten

Deutschland wächst. Das ist eine gute Nachricht. Das Land ist jenseits seiner Grenzen attraktiv, weil es Arbeitsplätze bietet. Es ist für viele ein Ort ist, an dem sie gerne leben wollen, weil er wohlhabend ist, offen und politisch stabil.

Das ist wichtig, denn die Wirtschaft findet nur noch ausreichend Arbeitskräfte, weil es diese Zuwanderer gibt. Nirgends wird das so deutlich wie im Gesundheitswesen. Ohne diese Zuwanderung wäre der Wohlstand in Gefahr. Könnte sich die Gesellschaft nur auf jene Menschen stützten, die in Deutschland geboren und aufgewachsen sind, dann hätte der Schrumpfungsprozess schon 1972 begonnen, und unser Land würde sehr alt aussehen.

Immerhin hat sich die große Koalition dazu durchgerungen, in kleinen Schritten, aber offensiv mit der Frage umzugehen, wer nach Deutschland kommen darf und wer nicht. Das vereinfacht eine gezielte Anwerbepolitik. Ein richtiger Weg, der die Akzeptanz der Zuwanderung verbessert.

Denn die ökonomische Betrachtung des Themas reicht sicher nicht aus. Hinter der Zahl stecken viele offenen Fragen. Viel Zuwanderung in kurzer Zeit und ein holperige Integrationspolitik bringen Konflikte mit sich, die in Ost und West zu heftigen Kontroversen führen.

Vor allem die AfD und ihr Umfeld nutzen diese Themen, um politisch Stimmung zu machen. Im Extremfall kommt es  zu tätlichen Angriffen und Mord. Die gemäßigten Kräfte müssen diese  Debatten dringend sachlich führen. Denn – so paradox es klingt – wenn alles bleiben soll, wie es ist, dann muss es Zuwanderung geben.

Während die Bundesländer Bayern, Berlin  und Baden-Würtemberg stark wachsen und die alte Bundesrepublik doppelt so viele Menschen beherbergt wie vor 100 Jahren, ist es im Osten umgekehrt. Dort sinkt die Einwohnerzahl weiter und hat einen Stand erreicht, der im Jahr 1905 überschritten war.

Diese regionalen Unterschiede sind die zweite große Herausforderung, die sich hinter der hohen Zahl verbirgt. Wenn Landstriche veröden, während in den Metropolen die Mieten ins Unterträgliche steigen, dann läuft etwas schief im Land.

Die Politik in Bund und Ländern muss sich dieser doppelten Herausforderung mit mehr Nachdruck annehmen. Es handelt sich um zwei Seiten derselben Medaille. Zuwanderung und Integration gelingen nur dann, wenn sie das Land nicht spalten.

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