Kommentar zur Aufnahme von Flüchtlingskindern Ein Armutszeugnis
Meinung | Berlin · In Zeiten von Corona gelten andere Regeln. Und dennoch: Bei der Aufnahme von Flüchtlingskindern steht außer Frage, dass Deutschland und Europa es eigentlich besser können, kommentiert unser Autor.
Weltweit gilt ein neues Maß. Das Corona-Maß: zwei Meter Abstand. In diesen Zeiten, in denen ganze Nationen neue Abstandsregeln lernen, geht auch Europa auf Distanz. Die EU schafft Abstand zu den Ärmsten, zu den Geschundenen, zu den Getriebenen – auf dem eigenen Kontinent. Vor rund einem Monat hatten sich mehrere EU-Staaten darauf verständigt, wenigstens 1600 unbegleitete Kinder aus den indiskutablen Verhältnissen in Flüchtlingslagern auf griechischen Inseln herauszuholen. Deutschland wollte 50 (!) dieser Kinder aufnehmen.
An diesem Samstag nun sollen die Kinder, die ohne Familie oder Elternteile dem Krieg in Syrien und in Afghanistan irgendwie entrinnen konnten, im Raum Osnabrück untergebracht werden. 50 Leben zu retten, diesen Kindern eine Zukunft zu geben, ist allemal besser, als Türen und Herzen ganz zu verschließen. Und trotzdem: Europa und Deutschland können es besser – auch in Corona-Zeiten. Die unbegleiteten Kinder kommen aus Lagern, in denen wie auf Lesbos 20.000 Menschen auf einer Fläche zusammengepfercht sind, die für 3000 Menschen ausgelegt ist. Zwei Meter Abstand als Schutz vor Corona sind unter diesen Umständen nur eine Farce.
Europa war, ist und bleibt (hoffentlich) ein Friedensprojekt, ein Versprechen der Solidarität und Hilfe in Not, und nicht nur ein Wirtschaftsraum mit 500 Millionen Konsumenten. Dass in diesem Europa das kleine Luxemburg mit seinem unermüdlichen Außenminister Jean Asselborn vorangehen muss, als es nun die ersten dieser unbegleiteten Kinder und Jugendlichen aufgenommen hat, spricht Bände. Wenn Deutschland nur 50 Kinder aus einer völlig inhumanen Situation herausholt, ist dies wahrlich ein Armutszeugnis. Deutschland kann mehr. Man muss es aber auch wollen.