Die Volksabstimmung über Stuttgart 21: Oben ohne

Wenn es konkret wird, wird es kompliziert. Als die Proteste gegen das Bahnprojekt Stuttgart 21 Überhand nahmen, galt die direkte Beteiligung des Volkes als der Königsweg, um die Krise zu lösen.

Als Heiner Geißler über Wochen den Schlichter in der Sache gab, sangen viele das hohe Lied auf den Volksentscheid. Nicht wenige gar meinten, so und nur so realisiere sich Demokratie. Von all dem ist, wenn Baden-Württembergs Bürger an diesem Sonntag abstimmen, nicht mehr viel geblieben. Demokratie in Baden-Württemberg beginnt nicht mit diesem Sonntag, sondern geht am Montag in den Gremien weiter, die die repräsentative Demokratie geschaffen hat.

Zur Abstimmung durch das Volk steht auch nicht das Bahnhofsprojekt, sondern nur die finanzielle Beteiligung des Landes daran. Das heißt: Entschieden wird, ob das Land seine Millionen weiter in ein Bahnprojekt schießt, das im Wesentlichen von Bahn und Bund betrieben wird. Oder ob es diese (oder noch mehr) Millionen als Schadensersatz zahlt, um sich von Stuttgart 21 loszukaufen. Was ja überhaupt nicht bedeutet, dass das Projekt damit begraben wäre, und was übrigens auch nicht bedeutet, dass über Stuttgart 21 nicht noch oft und lange in den Gremien der parlamentarischen Demokratie gestritten werden müsste.

Doch wenn nicht alle Anzeichen trügen, wird es so weit nicht kommen. Umfragen sagen den Befürwortern eine Mehrheit voraus, denn abgestimmt wird ja nicht nur in der aufgeheizten Atmosphäre der Landeshauptstadt, sondern auch im hintersten Winkel des südwestlichen Flächenstaates.

Vor allem aber: Die Gegner müssen nicht nur eine Mehrheit der Abstimmenden hinter sich bringen, sondern auch ein Drittel der Wahlberechtigten. Und dieses Quorum gilt selbst vielen in ihren Reihen als nicht erreichbar. Weshalb es ja auch im Vorfeld der Abstimmung massive Kritik an dieser Regelung gab. In der Tat: Wenn man das Volk abstimmen lassen will, muss es auch eine realistische Chance geben, zu siegen. Die gibt es bei S 21 ganz offensichtlich nicht.

Bleibt die Hoffnung auf den neuen Frieden, der ausbrechen möge, wenn dieser Sonntag hinter den Baden-Württembergern liegt. Eine übertriebene Hoffnung, denn die entschiedenen Gegner werden im Protest verharren.

In der übrigen Bevölkerung könnte dagegen eine Stimmung des „Jetzt ist es aber gut“ die Oberhand gewinnen. Denn auch Grün-Rot lechzt nach Ruhe, gibt es doch in der Landeskoalition keine Einigkeit über das Projekt. Also ist für sie der Haupteffekt, den schwarzen Peter abgeben zu können an die Bürger. Was bleiben wird, ist die Erkenntnis, dass genau dies kein Patentrezept ist. Politik in der Demokratie heißt, den Bürger mitzunehmen, aber eben auch zu führen. Oben ohne mag ein Bahnhofskonzept sein, ein politisches Führungsinstrument ist es nicht.

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