Kommentar Die große Koalition zu Jahresbeginn - Keine hundert Tage

Gut Ding will Weile haben. Mit Sprüchen wie diesem wurden die Bürger darüber hinweggetröstet, dass die Politik in Deutschland im letzten Vierteljahr Pause gemacht hat. Pause, um eine neue Regierung auf die Beine zu stellen, Pause, um einen Koalitionsvertrag auszuarbeiten, der es in sich hat. Gut überlegt, gut ausgearbeitet, Konflikte geklärt. Nichts davon hält näherer Betrachtung stand.

Zwar ist der Vertrag so lang geraten, wie es die Wahlpogramme der Parteien zuvor waren, aber all die vielen Zeilen haben nicht gereicht, um konkrete Lösungen zu formulieren. Nur ein klitzekleines Beispiel: Bei der Rente mit 63 soll Voraussetzung sein, dass man 45 Jahre Beiträge gezahlt hat - Zeiten der Arbeitslosigkeit eingerechnet. Das ist ein dehnbarer Begriff und schon wird er gedehnt. Die Union will eine Obergrenze (fünf Jahre), die SPD gar keine.

Und so tobt in vielen Politikfeldern keine zwei Wochen nach Bildung der Großkoalition der Kleinkrieg. Beim populären Thema Ausländerhatz geht die SPD der CSU, die schon wieder wahlkämpft, weil im Frühjahr Kommunalwahlen im Freistaat anstehen, auf den Leim und befördert so ein Thema in die Schlagzeilen, bei dem aktuell nichts zu entscheiden ist.

Ganz anders, als es bei der Energiewende der Fall sein müsste. Denn dort brennt der Baum und der neue Energieminister Sigmar Gabriel gibt sich auch gleich als der einzig wahre Feuerwehrmann, nicht ohne die Bundeskanzlerin selbst und ihre bisherigen Minister bei dem Thema fast lächerlich zu machen.

Diese große Koalition der kleinen Fingerhakeleien wäre ohne den Mindestlohn nicht zu haben gewesen. Doch auch da geht es jetzt erst richtig ans Eingemachte. Ausnahmen für Gelegenheitsjobs und Kleinverdiener, für Schüler, Studenten, Rentner? Klar, dass die Union, die den Mindestlohn eigentlich gar nicht will, hier die Chance sieht, im Kleingedruckten das Großgedruckte zu konterkarieren.

Vollends gegeneinander und lösungslos geht es beim Allerweltsthema Pkw-Maut zu, das so herzlich unwichtig ist, bei dem aber jeder mitreden mag. Also tut es auch jeder. Gar nicht unwahrscheinlich, dass Angela Merkel ihr Versprechen, mit ihr werde es keine Maut geben, einhalten kann.

Das alles wäre kein Grund zur Besorgnis, wenn es nicht zwei weitere Momente gäbe. Die Kanzlerin hat in ihrer Neujahrsrede versprochen, die Staatsfinanzen der nächsten Generation geordnet übergeben zu wollen. Sehr vieles jedoch, was die Koalition sich für die kommenden vier Jahre vorgenommen hat, geht exakt in die Gegenrichtung. Es ist also ein hohles Versprechen, wenn nicht bewusste Irreführung. Das zweite Moment: Eine Koalition, eine große zumal, darf nach einigen Jahren ausfleddern. Die aktuelle tut es sofort, gibt sich selbst keine 100 Tage Schonfrist. Nach der Wahl ist vor der Wahl? Wie wahr!

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