Kommentar Der NSU-Ausschussbericht in Thüringen - Report des Versagens

Es ist die schonungslose Dokumentation eines gigantischen Behörden- und Ermittlungsversagens, bislang beispiellos in der gesamtdeutschen Geschichte. Was die Abgeordneten des NSU-Untersuchungsausschusses in Thüringen nach zweieinhalb Jahren Arbeit in dieser Woche vorgelegt haben und worüber der Landtag in Erfurt gestern in Sondersitzung debattierte, verlangt für das ermittelte Ergebnis ein strapaziertes Adjektiv: skandalös.

Doch hier trifft es den Nerv. Selten hat ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss das schon kollektiv anmutende Versagen von Polizei, Ermittlern und Staatsanwälten derart offen nachweisen können wie bei deren Versuchen, der rechtsradikalen Terrorzelle "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) das Handwerk zu legen beziehungsweise die Dinge einfach laufen zu lassen.

Im besten Falle war nur Desinteresse der Ermittler Ursache dieses Versagens, was schon unglaublich genug wäre. Derweil konnten Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt, Beate Zschäpe sowie ihre Mitstreiter und Helfershelfer über Jahre unbehelligt ihre Basis in Thüringen halten und eine Blutspur durch die Republik ziehen, die von einem angeblich nicht fassbaren Anonymus stammte. Im schlechteren Fall allerdings verhielten sich vor allem Mitarbeiter des thüringischen Verfassungsschutzes in der Manier der drei Affen: nichts sehen, nichts hören, nichts wissen.

Einen solchen Verfassungsschutz, quasi Kleinstaat im Freistaat, darf es so gar nicht geben, was Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht (CDU) nicht nur drei Wochen vor Landtagswahlen hätte ansprechen dürfen. Auf nur einem Auge blind? Das wäre im Falle des thüringischen Verfassungsschutzes aus heutiger Sicht wohl noch ein günstiger Befund.

Acht türkischstämmige Kleinunternehmer, ein griechischer Kleinhändler sowie eine deutsche Polizistin sind Opfer der Morde des NSU geworden. Dazu kommen versuchter Mord, zwei Sprengstoffanschläge, 15 bewaffnete Banküberfälle und besonders schwere Brandstiftung. Eine dunkle Chronik von Delikten, die die Täter im gesamten Bundesgebiet begehen konnten. Dass sie dabei über Jahre weitgehend unbehelligt blieben, ist tatsächlich kaum zu glauben. Nach Auffassung der Bundesanwaltschaft soll die Polizistin Michèle Kiesewetter ein "Zufallsopfer" des NSU gewesen sein. Doch auch hier setzt der Untersuchungsausschuss in Thüringen ein Fragezeichen.

Es ist eines von zu vielen in diesem Dschungel von Ungereimtheiten und unklaren Erkenntnissen. Am Ende bleibt die Frage aller Fragen: Hätten die Morde des NSU verhindert werden können? Dazu gibt der Ausschussbericht eine zweifelsfreie Antwort: Ja. Die Angehörigen der Opfer dürfen weiter darauf setzen, zumindest einen Anspruch erfüllt zu bekommen: den auf die ganze Wahrheit.

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