Kommentar zum Terror in Frankreich Der doppelte Hollande

Die Bezeichnung scheint auf den ersten Blick so gar nicht zu passen zu diesem gemütlich und bedächtig wirkenden Präsidenten. Aber trotzdem benutzt sie die französische Presse fast einhellig: François Hollande wird wieder zum "Kriegsführer". Zum zweiten Mal in diesem Jahr steht er an der Spitze eines Landes, das durch blutige Terroranschläge tief erschüttert worden ist.

Staatspräsident Hollande selbst hat die Angriffe vom Freitag als barbarische "Kriegsakte" bezeichnet, die Frankreich mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln und in Abstimmung mit seinen Bündnispartnern bekämpfen werde. Keine 48 Stunden nach der Terrorserie meldete das Verteidigungsministerium, dass die französische Luftwaffe zwei IS-Trainingslager in Syrien zerstört habe. Die Botschaft ist deutlich: Wir sind stark, halten dagegen und lassen uns nicht einschüchtern.

Der Präsident hat schnell reagiert. Noch in der Nacht zum Samstag berief er einen Ministerrat ein, er ordnete Grenzkontrollen und eine Verstärkung der Armee im Inneren um 3000 Mann an und verhängte den Ausnahmezustand, der drei Monate gelten soll. All das sind außerordentliche Maßnahmen für eine außerordentliche Situation.

Es ist das Hollande-Paradox: Der Mann, dem innenpolitisch seine Unklarheit und sein ewiges Zaudern vorgeworfen werden, zeigt sich bei sicherheitspolitischen Fragen entschlossen, ja kriegerisch.

Im Januar 2013 schickte er französisches Militär nach Mali, um den dortigen Islamisten Einhalt zu gebieten. Im Sommer des Jahres 2013 drang er auf eine gemeinsame westliche Intervention in Syrien, zu der der amerikanische Präsident Barack Obama schließlich nicht bereit war. Inzwischen bombardiert Frankreich IS-Stellungen nicht nur im Irak, sondern auch in Syrien.

Daneben tritt Hollande wie schon nach den Anschlägen auf das Satiremagazin Charlie Hebdo und einen jüdischen Supermarkt im Januar nicht nur als mit kaltem Blut handelnder Staatschef, sondern auch als persönlich getroffener Landesvater auf. Er behält die Ruhe, findet emotionale Worte, versucht zu einen statt zu spalten. Das ist umso wohltuender, als die Opposition sofort auf politische Spielchen zurückgreift, sich mit drastischen Warnungen überbietet und dabei wohl auch die Regionalwahlen Anfang Dezember im Blick hat.

Hollande mag als "Kriegsführer" unerwartet entschieden reagieren, doch als politischer Führer enttäuscht er. Infolge der Wirtschafts-, aber auch einer politischen Vertrauenskrise steckt das Land in einem dauerhaften Tief, aus dem er es bislang nicht herausziehen konnte. Der Terror trifft Frankreich in einer ohnehin fragilen Lage. Dazu kommt die Frage, warum die minutiös organisierte Anschlagsserie vom Freitag nicht verhindert werden konnte, durchgeführt von Männern, die den Behörden für ihre Radikalisierung bekannt waren.

Um weitere Gräueltaten im Land zu verhindern, muss Frankreich in seine Ghetto-Vorstädte blicken, wo jene Männer als tickende Zeitbomben aufgewachsen sind, die nun so viel Schaden angerichtet haben. Hollande hatte einst versprochen, die sozial vernachlässigten Banlieues, in denen Armut, Gewalt und Perspektivlosigkeit herrschen, zur Priorität zu machen. Endlich mehr Chancengleichheit zu schaffen, ist eine weitere Aufgabe Hollandes. Auch sie ist riesig, aber ohne Alternative.

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