Kommentar Das geplante Freihandelsabkommen - Fakten statt Hysterie

Waldsterben, Vogelgrippe, BSE - wir Deutschen haben einen Hang zu lustvollen Panikreaktionen. Die jüngste Mode auf dem Katastrophenmarkt heißt TTIP - das angestrebte Freihandelsabkommen der EU mit den USA.

Fast eine halbe Million Unterschriften hat eine Protestliste, die Wirtschaftsminister Gabriel übergeben worden ist. Und es droht ja auch Schreckliches: Der Genmais, das Hormonfleisch, dann der ultimative Angriff der US-Chlorhühner. Es wäre jedoch besser gewesen, wenn diejenigen, die so eilig von der Protestlobby vorgefertigte Mails abschickten, den Grundsatz befolgt hätten, dass vor dem Hyperventilieren das Informieren stehen sollte.

Ein Drittel des Welthandels spielt sich zwischen den USA und der EU ab. Das betrifft 800 Millionen Menschen. Es geht um die Hälfte der globalen Wirtschaftsleistung. Dieser rege Austausch von Waren und Dienstleistungen wird mitunter behindert - von Zöllen, von unterschiedlichen Produktstandards, auch von anderen Zulassungsbedingungen. Es liegt auf der Hand, dass es für betroffene Unternehmen eine Erleichterung darstellte, könnte man sich auf gemeinsame Standards verständigen. Damit nicht ein Medikament, das auf der einen Seite des Teiches teure und eingehende Zulassungsprüfungen durchlaufen hat, auf der anderen Seite erneut die ganze Prozedur durchlaufen muss.

Wie naiv daraus zu folgern, das Abkommen nütze also nur der Industrie. Bauen sich die Autos von allein? Entwickeln sich neue Medikamente von selbst? Oder profitiert nicht doch unmittelbar der heimische Arbeitsmarkt, wenn Exporte reibungsloser abgewickelt werden können? Für Deutschland, den Export-Weltmeister, ist die Globalisierung nichts Schreckliches, sondern ein Geschenk.

Wohlgemerkt, es geht um gemeinsame Standards, nicht um ihre Absenkung. Ohnehin täte es den erhitzten Skeptikern gut, einmal die Perspektive umzukehren: Vielleicht hätten eher die amerikanischen Verbraucher Grund zu befürchten, dass ihre Standards geschleift werden sollen. Bei der Bankenregulierung sind die Amerikaner jedenfalls strenger. Die Zulassung eines Medikaments auf den US-Markt ist hoch kompliziertes, sehr langwieriges Prüfverfahren. Und die amerikanische "Food and Drug Administration" ist eine von der US-Industrie gefürchtete Verbraucherschutz-Behörde. Das Umkehren der Perspektive macht deutlich, dass sich hinter der angenehmen moralischen Entrüstung eine unangenehme Mischung aus Unwissenheit und Überheblichkeit verbirgt.

Jetzt wird mehr Öffentlichkeit gefordert. Verhandlungen sind nie öffentlich. Die Positionen der EU sind allen zugänglich. Die Frage ist, wer am Ende entscheidet - nur das EU-Parlament? Es könnte nicht schaden, wenn alle nationalen Parlamente darüber diskutieren und abstimmen müssten.

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