Treffen der Ministerpräsidenten Das föderale Corona-Trauerspiel

Berlin · Jeden Tag sind die Verantwortlichen erschütterter über die noch vor kurzem kaum vorstellbare Dynamik der Corona-Pandemie. Und dann fallen sie wieder in ihre föderalen Gewohnheiten zurück. Ein deutsches Trauerspiel.

 Markus Söder während einer Pressekonferenz am 13. März.

Markus Söder während einer Pressekonferenz am 13. März.

Foto: dpa/Sven Hoppe

Am Ende eines langen Treffens der Ministerpräsidenten mit der Kanzlerin ist Bayerns Regierungschef Markus Söder am Donnerstagabend voll Bewunderung für Bundesgesundheitsminister Jens Spahn. Der telefoniere ja sogar selbst mit den Lieferanten, um schneller an Beatmungsgeräte und Atemschutzmasken heranzukommen. Das sei „ungewöhnlich“, sagt Söder. Offenbar merkt er nicht mal selbst, dass das Einschreiten von Spahn keine ungewöhnliche, sondern die einzig verantwortliche Aktivität für Politiker in diesen Tagen des beginnenden Ausnahmezustandes ist.

Denn eigentlich ist die Bevorratung von wichtigen Medikamenten und Materialien für den Pandemiefall Sache der Länder. Und die haben ihre Hausaufgaben - wie so oft - wieder sehr unterschiedlich und im Zweifel mit den Noten „mangelhaft“ und „ungenügend“ erledigt. So darf nicht länger zuschauen und auf Zuständigkeiten schielen, wer die Zeichen der Stunde erkannt hat. Spahn hat. Viele andere haben es nicht.

Am nächsten Morgen gehört Söder selbst zu den Ungewöhnlichen unter den Ministerpräsidenten. Während die Schulleitungen, Lehrer und Schüler in Bayern im Dienst und im Unterricht sind, verkündet der Freistaat, dass die Osterferien ab Montag vorgezogen werden. Die Betroffenen können sich also darauf einstellen und konkret alles vorbereiten. Schon zuvor hat das Saarland ähnlich schnell Klarheit geschaffen. Man hätte so viel Klarheit auch dem Schulbetrieb in NRW gegönnt. Doch das Bundesland mit den meisten Infizierten hat zwar in der Erstausbruchsregion Heinsberg bereits mit der Schließung von Schulen und Kitas reagiert. Aber das lag an den lokalen Behörden. Die Landesregierung tut sich dagegen zunächst schwer, entsprechend der bereits seit einem Tag in der Kultusministerkonferenz und danach in der Ministerpräsidentenkonferenz vorliegenden Faktenlage zu entscheiden. Sie trifft sich am Vormittag und berät.

Niedersachsen ist schneller. Auch Berlin folgt zwei Stunden später. Allerdings mit der Variante, dass nicht alle Schulen betroffen sind, sondern nach Jahrgangsstufen unterschieden wird. Das ist das Feine am Föderalismus: Jedes Land kann für sich allein entscheiden, was die richtigen Reaktionen auf die speziellen Bedingungen der jeweiligen Region sind. In Berlin scheint das Virus mutiert zu sein und die verschiedenen Altersgruppen mitsamt ihrer Eltern, Freunde und Bekannten unterschiedlich stark zu gefährden. Das ist natürlich ein ironischer Erklärungsansatz. Angesichts der Gefährdungslage sogar eher ein sarkastischer.

Natürlich tun sich die Verantwortlichen schwer damit, pauschal die Schulen und Kitas dicht zu machen. Denn dann kommt auch das medizinische Personal in zusätzliche Probleme: Wer soll die Kinder betreuen? Politiker könnten auf den Gedanken kommen, auf die außergewöhnlichen Corona-Herausforderungen mit außergewöhnlichen Maßnahmen zu reagieren und etwa eigene Kitas und Betreuungszentren für die Kinder all derjenigen Beschäftigten zu bilden, deren Arbeit unerlässlich ist, um das Land durch die Krise zu bringen. So hätte man es in die Pandemiepläne schreiben können. Aber an die haben sich die Länder bei der Bevorratung des Materials ja sowieso nicht gehalten. Und geprobt, damit es im Notfall auch wirklich klappt und man rechtzeitig erkennt, wo im Ernstfall Lücken entstehen, haben sie es auch nicht.

Es ist ein Trauerspiel. Deutschlands Föderalismus ist nicht krisenfest. Und die Reaktion mancher Länder ist verräterisch. Im Alltag viel Kraft darauf verwenden, dass der Bund nur ja nicht in den Kompetenzen der Länder herumfingert. Und in der Krise darauf setzen, dass es der Bund schon irgendwie hinkriegen wird. Die Konsequenz kann nur sein, nach der Überwindung der Krise noch einmal kräftig nachzuarbeiten. Und vor allem eine Grundüberzeugung deutscher Politik zu streichen: „Der Föderalismus hat sich bewährt.“ Hat er nicht.

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