Kommentar zum Bildungsbericht 2020 Die Richtung wechseln

Meinung | Bonn · Deutschland ist auf dem Weg zur Bildungsrepublik noch nicht weit gekommen. Wieder mehr Jugendliche verlassen die Schule ohne Abschluss, die soziale Ungleichheit im Bildungssystem wächst.

 Anja Karliczek (CDU), Bundesministerin für Bildung und Forschung, stellt auf einer Pressekonferenz den nationalen Bildungsbericht "Bildung in Deutschland 2020" vor.

Anja Karliczek (CDU), Bundesministerin für Bildung und Forschung, stellt auf einer Pressekonferenz den nationalen Bildungsbericht "Bildung in Deutschland 2020" vor.

Foto: dpa/Kay Nietfeld

Ziemlich genau zwölf Jahre ist es her, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel die „Bildungsrepublik Deutschland“ ausrief. Aufgeschreckt wurde sie damals vor allem durch zwei Umstände aus dem Nationalen Bildungsbericht: Dass 7,9 Prozent der jungen Menschen eines Jahrgangs die Schule ohne Abschluss verlassen und dass die Bildungsausgaben in Deutschland – gemessen  am Bruttoinlandsprodukt (BIP) – nur 6,2 Prozent betragen und unter dem Durchschnitt der OECD- und der EU-Länder liegen.

Und heute? Ist das Land auf dem Weg zur Bildungsrepublik nicht weit gekommen. Im Gegenteil: Nachdem der Anteil der Jugendlichen, die die Schule ohne Abschluss verlassen haben, viele Jahre leicht rückläufig war, ist er wieder auf 6,9 Prozent gestiegen, und die Bildungsausgaben stagnieren seit Jahren bei 6,5 Prozent – weiter unter dem Schnitt von OECD und EU. Das zeigt: Die Richtung stimmt nicht, denn gerade jene, die es von ihrer sozialen Herkunft ohnehin schwer haben, Bildungserfolge zu erzielen, leiden besonders. Die Corona-Krise dürfte diese Entwicklung verstärken.

Gerade deshalb ist zweierlei richtig: Dass es, wie in NRW, Ferienprogramme gibt, in denen benachteiligte Kinder und Jugendliche für drei Wochen in die Schulen kommen und Defizite aufholen können, und dass sich die Kultusminister entschieden haben, alle Schulen nach den Ferien wieder für den Regelbetrieb zu öffnen. Dabei dürfte Schülern, Lehrern und Eltern klar sein: Ein normales Schuljahr wird es nicht werden, weil das Virus auch im Herbst und Winter nicht verschwunden sein wird und Schulschließungen immer möglich sein werden.

NRW-Bildungsministerin Yvonne Gebauer hat angekündigt, hierzu noch in dieser Woche einen Rahmen für das Lernen auf Distanz vorzulegen. Man darf gespannt sein, wie das Land gewährleisten will, dass alle Schüler unter ähnlichen Voraussetzungen von zu Hause lernen und mit ihren Lehrern kommunizieren sollen. So schnell wird es mit der Digitalisierung nämlich nicht gehen können.

Im Blick auf das nächste Schuljahr wird noch etwas anderes wichtig sein: Dass verlorengegangenes Vertrauen im Verhältnis zwischen Schülern, Eltern, Lehrern, ja auch den Schulleitungen und den Schulträgern wiedergewonnen wird. Sehr viele von ihnen haben mit viel Engagement versucht, so viel Schule wie machbar zu ermöglichen. Schwierige Zeiten können mit mehr Miteinander oft besser gemeistert werden.

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