Kommentar Regierung ohne Skrupel

Das ist schon bemerkenswert. 20 Jahre, nachdem der Bundestag das Berlin/Bonn-Gesetz beschlossen hat, bleibt heute festzuhalten: Das Gesetz wird gebrochen.

Und zwar durch die Bundesregierung. Seit Jahren. Der "größte Teil der Arbeitsplätze" der Ministerien soll in Bonn bleiben, hatte der Bundestag 1994 bestimmt. Doch das ist längst nicht mehr so. Auch wenn das Wort "muss" im Gesetzestext nicht auftaucht, hat die Regierung Merkel gegen den Geist des Gesetzes verstoßen, indem sie immer mehr Posten an die Spree verlagerte.

Zur Bilanz dieser zwei Jahrzehnte gehört aber auch die üppige Unterstützung des Bundes für Bonn und die Region. Milliarden sind geflossen, um den Hauptstadt-Verlust aufzufangen: Das Forschungszentrum Caesar, die Hochschule Bonn/Rhein-Sieg oder das World Conference Center wären ohne die Bundesmittel unvorstellbar, um nur wenige Beispiele zu nennen.

Nicht zuletzt weil die Zentralen der ehemaligen Staatskonzerne Post und Telekom sowie zusätzliche Bundesbehörden in Bonn angesiedelt wurden, ist der Strukturwandel gelungen. Wissenschaft, Medizin, Kultur, Zentrum für internationale Organisationen - das sind Bonns Stärken. Die Stadt und die Region wachsen und bieten heute mehr Jobs als vor dem Regierungsumzug.

Der Bund als Arbeitgeber ist ein unverzichtbarer Stabilitätsanker. Dass die neue Verteidigungsministerin vorerst auf den Abzug weiterer Posten nach Berlin verzichtet, ist zwar ein gutes Signal. Illusionen sollte sich aber niemand machen: Über kurz oder lang läuft der Prozess weiter, allein schon aus demografischen Gründen.

Mehr als ein Drittel der Ministerialen am Rhein geht binnen zehn Jahren in den Ruhestand. Dass all diese Posten in Bonn nachbesetzt werden, ist unwahrscheinlich. Selbst eine Änderung des Gesetzes wäre denkbar, weil die Zahl der Bonn-Freunde im Bundestag über die Jahre abnimmt: Nicht umsonst hat der Haushaltsausschuss darauf bestanden, den Neubau des Bildungsministeriums in Berlin so groß anzulegen, dass er alle Mitarbeiter fassen kann.

Ein Komplettumzug der Regierung wäre ein unzumutbarer Schlag für den UN-Standort, gegen den sich Bonn, die benachbarten Kreise und das Land NRW mit allen Mitteln zu wehren hätten. Gegen das drohende Abschmelzen der Ministeriumsposten braucht die Region ein strategisches Konzept. Hochwertige Arbeitsplätze in Bundesoberbehörden könnten eine Rolle spielen. Oberbürgermeister Jürgen Nimptsch will den Bund über einen Staatsvertrag mit dem Land NRW in die Pflicht nehmen.

Das klingt überzeugend, weil diese Vereinbarung einklagbar wäre. Was es bringt, nur aufs Gesetz zu pochen, haben wir gesehen - so gut wie nichts. Bonn und die Region sollten sich auf eine politische Linie einigen, bevor der Druck aus Berlin steigt.

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