IWF-Chefin auf Anklagebank Lagarde und die Millionen-Entscheidung

Paris · Es geht um dicke Akten und eine fragwürdige Millionenzahlung: Der erste große Strafprozess um die sogenannte Tapie-Affäre soll die Rolle der früheren Pariser Finanzministerin Christine Lagarde klären. Für die Französin steht viel auf dem Spiel.

Sie tritt selbstsicher auf wie immer. Durch einen Seiteneingang kommt Christine Lagarde in den prachtvollen Saal im Pariser Justizpalast, in dunklem Kostüm und mit einem eleganten bunten Tuch um den Hals.

Routiniert lächelt die Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF) in die Kameras und tritt später kämpferisch vor ihre Richter: Sie habe immer nur das öffentliche Interesse im Sinn gehandelt und besten Gewissens gehandelt, beteuert die 60-Jährige. Dann nehmen die Robenträger sie in die Mangel.

Die Vorwürfe, die Gerichtspräsidentin Martine Ract Madoux am Montag vorliest, zeichnen ein anderes Bild als Lagarde. Als französische Finanzministerin soll sie fahrlässig gehandelt und es damit möglich gemacht haben, dass Staatsgeld in Millionenhöhe veruntreut wurde - strafbar nach Artikel 432-16 des französischen Strafgesetzes mit bis zu einem Jahr Haft und 15 000 Euro Strafe.

Es ist ein aufsehenerregender Prozess, ein Blick in den Maschinenraum des französischen Staates. Für die international anerkannte Finanzexpertin, laut "Forbes" die sechstmächtigste Frau der Welt, steht viel auf dem Spiel. Es geht um ihre Glaubwürdigkeit, und damit wohl auch um den Job an der Spitze des IWF - auch wenn ihr Staranwalt Patrick Maisonneuve die Frage nach möglichen Konsequenzen routiniert beiseite wischt: "Sie wird freigesprochen werden, die Frage stellt sich nicht."

Auch für Lagardes Heimatland sähe es nicht gerade gut aus, wenn die erst vor einigen Monaten für eine zweite Amtszeit bestätigte Französin zurücktreten müsste. Schließlich musste auch ihr Vorgänger und Landsmann Dominique Strauss-Kahn 2011 unter skandalträchtigen Umständen abtreten. Schon damals wurde aus Schwellenländern der Traditionsanspruch der Europäer auf den Chefposten beim Währungsfonds infrage gestellt.

Das Verfahren gegen Lagarde ist der erste große Strafprozess in einer Affäre, die seit Jahren für Schlagzeilen sorgt. Der Geschäftsmann Bernard Tapie verkaufte in den 1990er Jahren über die damalige Staatsbank Crédit Lyonnais seine Anteile am Sportartikelhersteller Adidas. Dabei fühlte er sich von der Bank über den Tisch gezogen. Nach längerem Rechtsstreit verständigte man sich auf ein Schiedsverfahren, dem politisch gut vernetzten Tapie wurden 2008 gut 400 Millionen Euro Entschädigung zugesprochen.

Doch inzwischen vermuten Ermittler, dass dieser Schiedsspruch illegal erzielt wurde: Es soll Verbindungen zwischen Tapie und einem der Schiedsmänner gegeben haben. Zivilgerichte haben die Entscheidung deshalb inzwischen aufgehoben. Wegen des Verdachts des bandenmäßigen Betrugs gibt es Ermittlungsverfahren gegen mehrere Beteiligte, darunter auch Lagardes früherer Kabinettschef Stéphane Richard, heute Chef des Telekomkonzerns Orange.

Die Verfahren laufen getrennt, weil für Minister in Frankreich eigene Regeln gelten: Sie müssen für Delikte im Amt vor ein spezielles Gericht, das nur aus wenigen Berufsrichtern und vielen Parlamentariern besteht. Eine umstrittene Institution. Noch eine Besonderheit: Die Staatsanwaltschaft hatte eigentlich die Einstellung des Verfahrens gegen Lagarde gefordert, die Untersuchungskommission des Gerichts entschied anders.

Lagarde steht im Verdacht, weil sie grünes Licht für das Schiedsverfahren gab und dann auf einen Einspruch verzichtete - nach Ansicht der Anklage ohne sich ausreichend mit der Materie befasst zu haben. Ursprünglich wurde sogar wegen Beihilfe zur Veruntreuung ermittelt, doch dieser Vorwurf fiel schließlich weg. Übrig blieb die Anklage wegen Fahrlässigkeit im Amt. Ein Delikt ohne Vorsatz, wie Lagarde vor Prozessbeginn betonte.

Und ein komplizierter Tatbestand: Das Gericht muss entscheiden, ob Lagarde gewissenhaft genug gearbeitet hat. Ihre Verteidiger stellen heraus, dass Minister nun einmal viele Entscheidungen mit großer Tragweite treffen müssten. Man könne doch nicht erwarten, dass eine Ministerin Tausende Seiten Prozessakten liest, sagt Anwalt Maisonneuve. Er hält es zudem für fragwürdig, über Lagarde zu urteilen, solange noch nicht über den Betrugsverdacht entschieden ist. Denn so müsse der Gerichtshof der Republik auch selbst entscheiden, ob tatsächlich Geld veruntreut wurde. Der Prozess soll bis kommende Woche Dienstag dauern.

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