Kultur - Eine Sinfonie vor Goldgrund

Max Klingers Beethovendenkmal und Gustav Klimts Beethovenfries

Da sitzt er, leicht vornübergebeugt mit geballten Fäusten. Beethovens fast noch jugendlicher und doch aller Zeitlichkeit entrückter Blick ist in die Ferne gerichtet. Der nackte Oberkörper aus bleichem Marmor wirkt entspannt, was man über den Adler, der zu Füßen des Komponisten ehrfürchtig zusammenzuckt, nicht behaupten kann. Max Klingers in verschiedenfarbigem Marmor gehaltenes Beethovendenkmal wird von allegorischen Wandmalereien umgeben.

Die Creme des Wiener Jugendstils - allen voran Gustav Klimt - hat sich 1902 in der "Secession" versammelt, um dem Komponisten zu huldigen. Freilich will man auch den großen Klinger ehren und damit dem Künstlertum schlechthin ein Denkmal setzen. Aus dem Genie Beethoven ist im 75. Todesjahr der Titan geworden, und alle wollen ein Scheibchen von dem Ruhm abhaben. Das junge Jahrhundert hatte sein erstes Gesamtkunstwerk und die 1897 gegründete "Secession" ihren ersten handfesten Skandal. "Solche Orgien hat das Nackte noch auf keiner Wiener Ausstellung gefeiert", wetterte ein Chronist insbesondere gegen Klimts Beethovenfries und geißelte die "künstlerische Selbstbefleckung im verwegensten Sinne des Wortes." Klimts "Darstellungen der Unkeuschheit" gehörten, so ein weiterer Kritiker, "zu dem äußersten, was je auf dem Gebiete obscöner Kunst geleistet wurde".

Doch es war nicht allein die "gemalte Pornographie", die die Zeitgenossen aufbrachte und fragen ließ: "Gibt es denn in Wien keine Männer mehr, die gegen solche Attentate protestieren?" Vielmehr stießen Klimts allegorische Gestalten auf erbitterten Widerstand, weil sie bei aller dekorativen und schönlinigen Gestaltung trotzdem so krass mit dem herkömmlichen Schönheitsideal brachen. "Schamlose Caricaturen der edlen Menschengestalt" nannte sie ein Kritiker, in der "Wiener Sonn- und Montagszeitung" las man von einer "von apokalyptischer Phantasie erträumten Lasterhaftigkeit", ausgemergelten und aufgeschwollenen Körpern.

Freilich gab es auch viele Stimmen, die Klimts Fries als künstlerische Offenbarung erlebten und in ihm eine Paraphrase der Neunten Sinfonie entdeckten. Klimt, der mit dem Titel der letzten Szene "Freude schöner Götterfunken - Diesen Kuss der ganzen Welt" das entscheidende Stichwort gab, hatte sich an Richard Wagners Deutung der Neunten gehalten. Klimt ist diesem Programm mitunter buchstäblich gefolgt. Rachitisch und gebrochen recken sich die Leidenden nach einer Rettergestalt in Ritterrüstung, grell geschminkt mit wilden Haaren lauern die nackten "feindlichen Gewalten" (die Gorgonen, sowie Krankheit, Wahnsinn und Tod) und die drallen Weiber der Wollunst, Unkeuschheit und Unmäßigkeit. Mitten drin kauert die Personifikation des nagenden Kummers, doch bald werden die Sehnsüchte der Menschen von einer Wolke aus Farben und Ornamenten zur "Poesie" getragen, wo schon die Allegorie der Künste und der ätherische Chor der Paradiesengel warten und sich die Neunte mit dem Bild einer inbrünstigen Umarmung vor Goldgrund schließt.

Klimts prall erzählter Comic-Strip über die Neunte spiegelt den Beethovenkult, der um die Jahrhundertwende seinen Höhepunkt erlebte. Vom Tondichter hatte sich Beethoven - dank Wagner, Nietzsche und anderen Interpreten - zum Tongott verwandelt, eine Christus-ähnliche Gestalt, die um der Erlösung der Menschen willen gelitten hatte. Auch Klingers bereits 1885 konzipierter thronender Beethoven ist vor diesem Hintergrund zu sehen. Klinger zelebriert das Pathos, schwelgt im Luxus bunten Marmors. Künstlerisch koppelt er Naturalismus und Idealismus, Reales und Irreales, versöhnt - ein alter Traum - die Antike mit der Moderne. Sein Beethoven spiegelt, wie der Kunsthistoriker Hans H. Hofstätter einmal schrieb, "die spezifische Seelenlage einer Zeit, die Weltsüchtigkeit und Weltflüchtigkeit vereint."

Klingers Skulptur mutet heute rein formal ungemein fortschrittlich an, man denke nur an Arbeiten von Jeff Koons oder Duane Hanson. Das sah Julius Meier-Graefe in den 20er Jahren noch anders: "Warum nicht die marmornen Glieder des Monstrums in Scharniere hängen und beweglich machen?" fragte der Gralshüter der Moderne nörgelnd, "Warum nicht das Auge aus Onyx in Kugellagern rollen lassen? Der heilige Vogel müsste mit den Flügeln schlagen. Im Thron ist Platz für die Maschine." Vom Ton-Gott zum Musik-Roboter: Weder Beethoven noch Klinger haben unter dem vermeintlichen Absturz gelitten.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort