Wegen Debatte um Maaßen Koalition in gefährlicher Sackgasse

Berlin · Wie ein Krimi spitzt sich der Konflikt um den Präsidenten des Verfassungsschutzes zu. Es könnte zum entscheidenden Duell Merkel vs. Seehofer kommen. Eine Lösung ohne Verlierer ist kaum noch in Sicht.

Die Kanzlerin ist gerade Richtung Algerien abgeflogen, da schlägt die Nachricht ein: Sie habe den Daumen gesenkt. Die "Welt" berichtet, Verfassungsschutz-Präsident Hans-Georg Maaßen müsse gehen.

Die SPD fordert seit Tagen seinen Kopf, der Konflikt hat das Zeug für eine unkalkulierbare Krise. Vor allem, weil Merkel von ihrer Richtlinienkompetenz Gebrauch machen müsste und den formal zuständigen Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) anweisen müsste, den Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz zu entlassen. Die große Koalition hat sich in eine Sackgasse manövriert.

Maaßen, dessen fachliche Qualitäten unbestritten sind, galt von Anfang an als ein Kritiker von Merkels Politik offener Grenzen in der Flüchtlingskrise. Dann mischte er sich in die Chemnitz-Debatte ein, widersprach der These des Merkel-Lagers von "Hetzjagden" auf Ausländer und stellte die Authentizität eines Videos von einem Übergriff in Frage.

Merkel lässt den "Welt"-Bericht in Berlin nicht dementieren, sie selbst will sich dazu bei ihrem Besuch in Algier nicht äußern. Sie verweist aber auf ihre Aussagen von vergangener Woche, "dass die Koalition an der Frage des Präsidenten einer nachgeordneten Behörde nicht zerbrechen wird". Vize-Regierungssprecherin Martina Fietz sagt in Berlin: "Die Meldung der „Welt“ kommentiere ich an dieser Stelle nicht."

Alles blickt nun auf das Treffen Merkels am Dienstag mit Nahles und Seehofer im Kanzleramt. Wobei sich die Frage stellt, ob die Bürger noch verstehen, was da wieder abgeht in Berlin, demokratie- und vertrauensfördernd sind die Ereignisse sicher nicht. Wie hier noch eine für alle gesichtswahrende Lösung ohne koalitionären Kollateralschaden zu finden ist, weiß keiner so recht.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ist am Montag auch im Ausland unterwegs, er mahnt, dass Deutschland als Stabilitätsanker in Europa gebraucht werde. "Natürlich schaut man auch mit Sorge auf den Streit innerhalb der Koalition", sagt er in Helsinki bei einer Pressekonferenz mit dem finnischen Präsidenten Sauli Niinistö. "Ich kann nur meiner Hoffnung Ausdruck geben, dass dort, wo Entscheidungen gefällt werden müssen, sie bald fallen."

SPD-Partei- und Fraktionschefin Andrea Nahles sagt klipp und klar: "Herr Maaßen muss gehen, und (...) er wird gehen". Doch auch führende SPD-Leute wissen bisher nichts von einer finalen Entscheidung. Bleibt Maaßen, müsste die SPD nach den markigen Worten die Koalitionsfrage stellen. Die könnte wiederum aber auch die CSU stellen, wenn Merkel ihren Widersacher Seehofer gegen dessen Willen zur Maaßen-Ablösung verdonnert.

Seehofer hatte am Wochenende noch einmal betont, dass er für eine Entlassung Maaßens keinen Grund sieht - "weil er mich seit vielen Monaten durch seine Arbeit überzeugt, und weil seine Erklärung im Innenausschuss vollkommen logisch und in sich konsistent war". Dass der Bundesinnenminister Maaßen nach dem Wochenende nun plötzlich fallen lässt, ist in der CSU kaum vorstellbar. Und selbst eine denkbare Versetzung des Spitzenbeamten wird bei den Christsozialen äußerst kritisch gesehen. Am Ende würde das keinen Unterschied machen, ob Maaßen versetzt würde oder formal freiwillig gehen würde, heißt es - beides würde nur bei der AfD einzahlen.

Denn die AfD würde Maaßen als "Märtyrer" feiern. Fraktionschefin Alice Weidel gibt den Ton schon mal vor: "Jeder, der Merkels rechtswidrige Einwanderungspolitik kritisiert, wird von der etablierten Politik gnadenlos durch die Mangel gedreht", sagt sie.

Seehofer musste viel Prügel einstecken für seine Aussage, die "Migrationsfrage sei die Mutter aller Probleme". Aber für die große Koaliton ist die Flüchtlingsfrage die Mutter aller Konflikte. Erst der Streit um eine härtere Asylpolitik, nun personifiziert Maaßen den Streit, ob der Geheimdienst rechtsextreme Tendenzen im Land energisch genug bekämpft.

"In einer Zeit, wo die demokratische Grundordnung von rechts attackiert wird, darf das Vertrauen in die Sicherheitsbehörden nicht untergraben werden", sagt SPD-Vize Ralf Stegner. Er wirft Maaßen Versagen bei der Aufklärung der Morde des rechtsextremen NSU, im Fall des Weihnachtsmarkt-Attentäters Anis Amri sowie angebliche "freundschaftliche Beratungsgespräche mit der AfD" vor - die der Verfassungsschutz allerdings klar dementiert hatte. "Da kommt schon einiges an Dingen zusammen", meint Stegner.

Die SPD verkauft ihr Agieren als Grundsatzfrage im Kampf gegen einen Rechtsruck, aber ist natürlich auch getrieben von innerparteilichem Frust über schlechte Umfragewerte und die Politik der Koalition.

Entscheidet Merkel gegen Maaßen, entscheidet sie auch gegen Seehofer. Eine ultimative Eskalation einen Monat vor der für die CSU so wichtigen Landtagswahl in Bayern? Da werden Erinnerungen wach an die schwere Regierungskrise vor der Sommerpause. Da schon hatte Merkel mit ihrer Richtlinienkompetenz gedroht - was Seehofer kalt ließ: "Mir gegenüber hat sie mit der Richtlinienkompetenz nicht gewedelt – das wäre auch unüblich zwischen zwei Parteivorsitzenden", gab er zurück.

Tatsächlich dürfte sich Seehofer eine solche Anweisung Merkels nicht gefallen lassen. Ohne einen mit ihm abgestimmten Kompromiss käme der Minister dann wohl nicht um einen Rücktritt herum, wird in der CSU gemurmelt. Dort hofft man schlicht und einfach, dass sich die neue Krise am Ende irgendwie löst.

Schon jetzt steht fest: Es dürfte viele Verlierer geben. Und zwar nicht nur im politischen Berlin.

Das nach der rechtsextremen NSU-Mordserie mühsam wieder zurückgewonnene Vertrauen der Bürger in den Verfassungsschutz ist durch die Affäre um den Behördenchef erneut erschüttert worden. Aus den Sicherheitsbehörden, wo manche Maaßen zwar eitel, aber kompetent finden, ist Grummeln zu hören. Auch Bundespolizeichef Dieter Romann gilt als Kritiker der Flüchtlingspolitik Merkels.

Viele in der CDU halten an Maaßen bisher fest. Ihre Innenpolitiker haben sich im Bundestag und vor den Kameras mehrfach gegen die Abberufung des obersten Verfassungsschützers ausgesprochen. Auch deshalb, "weil wir der SPD schließlich auch nicht in die von ihr geführten Ressorts hineinregieren". Vieles erscheint möglich, eines ist sicher: Ruhiges Regieren gibt es erstmal nicht.

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