Wissenschaft - Eine Niere wird verpflanzt

Ruth Tucker überlebt in Chicago mit einem fremden Organ

Eine Nierentransplantation gehört heute zu den weitgehend standardisierten Operationen. Das war in den 60er Jahren, in der Pionierzeit der Organverpflanzungen mit ihrer ganzen Hektik, noch völlig anders. Lag doch die erste gelungene Nierentransplantation noch gar nicht so lange zurück: Am 17. Juni 1950 glückte sie dem US-amerikanischen Chirurgen Richard H. Lawler und seinen Mitarbeitern in Chicago. Seine 49jährige Patientin Ruth Tucker überlebte diese Organübertragung als erster Mensch. Auch in Europa übertrugen Jean Hamburger und sein Pariser Team in diesem Jahr erstmals eine Niere.

Der Weg dahin war lang. Seit den ersten Legendenberichten des 13. Jahrhunderts von der Verpflanzung eines Beines durch die Heiligen Cosmas und Damian bewegte der Gedanke an die Möglichkeit einer Transplantation das Abendland immer wieder. Lange blieben diese Vorstellungen im Bereich von Mythen und Utopien, bis sie die Medizin seit Anfang des 20. Jahrhunderts Stück für Stück Realität werden ließ.

In Wien entdeckte Karl Landsteiner 1900 das erste menschliche Blutgruppensystem (A-B-0) und ermöglichte damit Bluttransfusionen, eine erste Form der Organtransplantation. 1930 erhielt er dafür den Nobelpreis für Medizin. Am 7. März 1902 berichtete Dr. Emerich Ullmann in der Sitzung der Wiener Ärztegesellschaft von einer ersten technisch gelungenen Nierentransplantation an einem Hund. Im selben Jahr beschrieb Alexis Carrel, der später ebenfalls den Nobelpreis für Medizin bekam, in der französischen Fachpublikation "Lyon Médical" ein vergleichbares Experiment. Übertragungen von Affennieren durch Ernst Unger 1910 und B. Schonstadt 1913 in Berlin mißlangen. Der nächste Schritt war die Verpflanzung menschlicher Nieren, erstmals 1936 erfolglos von S. Voronoy in Kiew im Falle einer schweren Vergiftung ausprobiert. Die Transplantationen gelangen operationstechnisch schon bald, doch ein Problem blieb bestehen: Der Organismus stieß das fremde Gewebe ab. Klarheit gewannen die Chirurgen erst, als 1954 in Boston eine Transplantation zwischen eineiigen Zwillingen gelang. Die Praxis bestätigte, was die Grundlagenforscher bereits herausgearbeitet hatten: Solange keine Unterdrückung des Immunsystems möglich war, konnten Transplantationen nur in seltenen Spezialfällen Erfolg versprechen, zum Beispiel wenn Spender und Empfänger eng verwandt sind. 1982 brachte ein neuartiges Medikament den Durchbruch. Cyclosporin, das 1978 erstmals klinisch erprobt worden war, erwies sich nach einer europäischen multizentrischen Studie als hervorragendes Mittel, um das Immunsystem zeitweise auszuschalten.

Auch in Deutschland erzielten Ärzte mit Nierenübertragungen die größten Erfolge auf dem Gebiet der Organtransplantation. Ihre medizinische wie ökonomische Notwendigkeit - eine Operation ist kostengünstiger als die Dialyse - wurde um 1970 allgemein akzeptiert. Bis 1963 waren weltweit 250 Nieren verpflanzt worden, bis zum 1. April 1971 allein in Deutschland 302. Die erste Niere wurde 1963 in Berlin verpflanzt. Nach Heidelberg und München fand 1967 die erste Transplantation in Bonn statt - bis heute gab es hier insgesamt 433 Nierenverpflanzungen. Mehr als 10000 Menschen in Deutschland warten derzeit auf eine neue Niere. Jährlich werden etwa 2000 Transplantationen in 42 Zentren vorgenommen, 1997 waren es genau 2249.

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