"Widerlich" bis "Zeitenwende" Wie blickt die Welt auf Chemnitz?

Berlin · Weltoffen und tolerant - so wollen die Deutschen gesehen werden, und werden es oft auch. Nach Chemnitz warnte Außenminister Heiko Maas allerdings, dass die Vorkommnisse in der sächsischen Stadt Deutschlands Ansehen in der Welt schaden. Ist das so?

 Teilnehmer der Demonstration von AfD und Pegida, der sich auch die Teilnehmer von Pro Chemnitz angeschlossen haben, ziehen zum Karl-Marx-Denkmal.

Teilnehmer der Demonstration von AfD und Pegida, der sich auch die Teilnehmer von Pro Chemnitz angeschlossen haben, ziehen zum Karl-Marx-Denkmal.

Foto: Ralf Hirschberger

Die Ereignisse in Chemnitz haben Deutschland aufgewühlt. Aber auch die Welt schaut auf Sachsen. Internationale Kommentatoren zeichnen vor allem ein düsteres Bild von Ostdeutschland - dort seien Demokratie und das Zusammenleben mit Fremden noch neu.

Einige machen die Kanzlerin und ihre Flüchtlingspolitik für die fremdenfeindlichen Ausschreitungen verantwortlich - und mancher äußert Verständnis für die Demonstranten. Andere kritisieren "schamlosen Rassismus". Und nicht zuletzt erinnern die Zeitungen an Deutschlands Geschichte - und warnen davor, dass diese sich wiederholt. In manchen Ländern äußern sich auch Politiker. Ein Überblick:

GROSSBRITANNIEN: Die Zeitung "The Times" zeichnet ein sehr düsteres Bild von Chemnitz: hohe Arbeitslosigkeit, geringe Löhne, niedrige Geburtenrate, massive Drogenprobleme - die Stadt sei heute "ein anschauliches Beispiel für einen Osten, der sich zurückgelassen fühlt". So konnte sich dem Blatt zufolge Chemnitz zum "Epizentrum rechtsextremer Wut und Sammelpunkt von Neonazi-Hooligans" entwickeln. Der "Guardian" spielt auf die Geschichte Deutschlands an: "Das ist das Aufblühen von etwas Gefährlichem, das tief verwurzelt ist."

FRANKREICH: Über die Ereignisse in Sachsen wird in Frankreich ausführlich berichtet. Die französische Regionalzeitung "Les Dernières Nouvelles d'Alsace" aus Straßburg meinte zu Wochenbeginn, dass in ehemaligen DDR-Großstädten schon seit Jahrzehnten rechtsextreme Bewegungen existierten. Es sei "kein Zufall", dass der Hass ausgerechnet im Osten Deutschlands explodiere. Auch die Vorfälle um die Veröffentlichung von Haftbefehlen im Internet wurden in Frankreich kritisch kommentiert. Die angesehene Tageszeitung "Le Monde" schickte ihren Deutschland-Korrespondenten Thomas Wieder nach Chemnitz.

SPANIEN: Als Anlass für die fremdenfeindlichen Kundgebungen wird in den Kommentaren die Migrationskrise genannt, für die Europa und speziell Deutschland keine Lösung fänden - und die von Neonazis für ihre Zwecke genutzt werden, schrieb "El Mundo". Die Zeitung "La Vanguardia" lobte die Kritik von Bundeskanzlerin Angela Merkel an den Geschehnissen. Viele Blätter warnten gleichzeitig vor den "Nazi-Nostalgikern" und einem Wiederaufflammen der Geschichte.

ITALIEN: Für Italiens Innenminister Matteo Salvini sind die Ausschreitungen in Chemnitz ein Beweis dafür, dass die Bundesregierung das Risiko sozialer Konflikte durch die Migration jahrelang unterschätzt hat. Gewalt sei aber keine Lösung, sagte er in einem Interview mit der Deutschen Welle. Abgesehen von dem Chef der rechten Lega gab es in Italien keine nennenswerten Reaktionen zu den Vorfällen. Es wurde aber breit berichtet.

ÖSTERREICH: Die Zeitung "Die Presse" schrieb: "Wie sich in diesen Tagen Gewalt und schamloser Rassismus in Chemnitz Bahn brachen, wie Rechtsradikale die Straße eroberten und ungeniert den Hitlergruß zelebrierten, war einfach nur widerlich." Bundeskanzler Sebastian Kurz von der konservativen ÖVP erklärte, dass er erschrocken sei über die Vorfälle in Sachsen. Der linksliberale "Standard" aus Wien schrieb: "Chemnitz könnte für Deutschland eine Zeitenwende bringen. Wohin der Wind sich dreht, ist noch nicht absehbar."

SCHWEIZ: In der Schweiz beschäftigten sich die Tageszeitungen "Tages-Anzeiger" und "Neue Zürcher Zeitung" immer wieder auch in den Kommentarspalten mit der Situation in Chemnitz. Letztere machte dabei unter anderem deutlich, dass sich die demokratische Mitte einer Gesellschaft die Fähigkeit, zu differenzieren, bewahren müsse. "Wer die Sachsen als Nazis und Nazi-Kollaborateure beschimpft, drückt damit aus, dass er sie als Mitbürger aufgegeben hat."

SKANDINAVIEN: Die skandinavischen Zeitungen berichten fast täglich über die Zusammenstöße in Chemnitz, halten sich aber mit Einschätzungen zurück. Deutschland genießt im Allgemeinen ein hohes Ansehen, desto unverständlicher sei es, dass es in Sachsen zu solch gewalttätigen und hasserfüllten Ausschreitungen gekommen ist. "Die Ostdeutschen hatten im Gegensatz zu den Westdeutschen keine freundliche Besatzungsmacht, die ihnen Demokratie und Pluralismus beibringen konnte", schrieb die dänische Zeitung "Jyllands Posten".

RUSSLAND: Deutschland in der Krise, Berlin ist blind – Russlands tägliche Schlagzeilen zu den Ausschreitungen in Chemnitz sind düster. Dabei diagnostizieren die Zeitungen dem Land chaotische Zustände und ignorante Politiker, die das größere Problem nicht anpacken. Einerseits bedauere man den Tod eines Deutschen, gleichzeitig verurteile man auch diejenigen, die sich mit dem Opfer solidarisieren. Was einfache Bürger ihr gutes Recht nennen, so schreibt etwa das kremltreue Boulevardblatt "Komsomolskaja Prawda", bezeichne die deutsche Regierung dann als fremdenfeindlich.

POLEN: Die konservative Zeitung "Rzeczpospolita" schreibt, die Ereignisse in Chemnitz würden von rechten Kreisen für ihre Zwecke benutzt. Lange Zeit habe sich der Neonazismus in einer Nische versteckt, nun tauche er wieder auf und würde "gefährlich wuchern". Ein Teil der Bevölkerung habe das Gefühl, die Regierung würde die Wahrheit über von Flüchtlingen ausgehende Bedrohungen vor ihnen verheimlichen, meinen polnische Kommentatoren weiter. Laut linksliberaler Zeitung "Gazeta Wyborcza" demonstriert Chemnitz, dass Rechtsextremismus in Ostdeutschland ein Problem darstellt. Die Ereignisse würden die ohnehin politisch geschwächte Kanzlerin Angela Merkel treffen.

UNGARN: Die von der Regierung kontrollierten Medien führen die Ausschreitungen in triumphalem Ton auf eine "verfehlte deutsche Migrationspolitik" zurück. "Schlachfeld Chemnitz" titelte die Tageszeitung "Magyar Idök". "Chemnitz kann zu einem weiteren abstoßenden Beispiel der Integrationsbestrebungen werden", urteilte die Zeitung.

TSCHECHIEN: Ministerpräsident Andrej Babis von der populistischen ANO sieht sich nach dem Mord an einem Deutschen in Chemnitz in seine Abwehrhaltung gegenüber Flüchtlingen bestätigt. "Chemnitz ist für uns um die Ecke", sagte er im Sender "Prima". Die illegale Zuwanderung müsse gestoppt werden. Präsident Milos Zeman erklärte, er sympathisiere durchaus mit den Demonstranten in Sachsen: "Sie sagen im Grunde: Mutti Merkel hat die Migranten eingeladen - und hier habt ihr das Ergebnis."

SLOWAKEI: Die Sympathien der Berichterstatter gelten deutlich erkennbar jenen Demonstranten, die gegen Fremdenfeindlichkeit auf die Straße gehen. In den wenigen Kommentaren fällt vor allem der Hinweis auf, dass nicht der Mord an einem 35-Jährigen, sondern die nachfolgenden gewalttätigen Ausschreitungen von Rechtsextremen das eigentliche Thema seien.

SÜDOSTEUROPA: Das prominente KROATISCHE Portal Index schreibt: "Chemnitz wurde für 48 Stunden de facto in eine gesetzlose Zone umgewandelt, in der Neonazis und andere extreme Rechte auf den Straßen Menschen jagten und angriffen (...), während die Polizei das alles uninteressiert und hilflos beobachtete." In RUMÄNIEN wird die Ursache der Gewalt etwa in einer Identitätssuche der Ex-DDR-Bürger gesehen. Hingegen bekundet die regierungsfreundliche Tageszeitung "Evenimentul Zilei" Sympathie für die ausländerfeindlichen Demonstranten: "Die Geduld der Deutschen ist zu Ende." In BULGARIEN analysierte die Zeitung "24 Tschassa", dass die Ostdeutschen nicht zusammen mit Ausländern aufgewachsen seien. Zudem habe die Wiedervereinigung nicht allen Reichtum gebracht.

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