Zukünftige Spitzenkräfte Wer ist hier der Boss?

BONN · Die Führungskräfte von morgen haben schon heute hohe Ansprüche und ein gesundes Selbstvertrauen.

 Dr. Wolfgang Gawlitta. FOTO: BDU

Dr. Wolfgang Gawlitta. FOTO: BDU

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Bei den vor allem rund um die 1990er-Jahre Geborenen spricht man gerne von der „Generation Y“, von einer Generation also, die bereits mit dem Internet, Social Media und Smartphones aufgewachsen ist. Dr. Wolfgang Gawlitta, Personalberater und Mitglied im Bundesverband Deutscher Unternehmensberater e. V. (BDU) in Bonn, hält jedoch nicht viel von dieser Klassifikation. Zwar haben sich in den letzten Jahrzehnten vor allem die technologischen und kommunikativen Rahmenbedingungen stark verändert, aber natürlich sei die „Generation Y“ − wie jede andere vor ihr − in sich sehr heterogen, was etwa das soziale Umfeld, die Herkunft oder den Bildungsstand angeht.

Nun widmen sich Dr. Wolfgang Gawlitta und der BDU in ihren Aktivitäten vornehmlich den aktuellen und zukünftigen Spitzenkräften in Deutschlands Unternehmen. Schon ein Blick nach Italien oder Spanien macht jedoch deutlich, in welch komfortabler Situation sich die künftige Elite hierzulande befindet. Dort heißt es oft mit über 30 noch „Hotel Mama“, während hier schon früh Karrierepläne geschmiedet werden können. Verantwortlich hierfür sind der anhaltende Wirtschaftsboom sowie die mit den geburtenschwachen Jahrgängen sinkende Zahl an Erwerbstätigen. In der Folge kann die heutige Studentengeneration höhere Ansprüche an den künftigen Beruf stellen als die Jahrgänge vor ihr. Und das tut sie mit Nachdruck.

Gawlitta ist neben seiner Tätigkeit als Personalberater für den Mittelstand auch Lehrbeauftragter an der Hochschule Bonn-Rhein/Sieg. Er kennt die studierende Generation daher aus erster Hand: „Den jungen Menschen ist klar, dass wir uns vom Arbeitgeber- immer weiter in Richtung Bewerbermarkt entwickeln. Damit geht einher, dass die Forderungen nach einem gewissen Wertekonsens und der optimalen Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben immer lauter werden. Im Hinblick auf Lebensqualität und Wohlbefinden ist diese Entwicklung sicherlich positiv zu bewerten.“

Natürlich sollte die jeweilige Gehaltsvorstellung erfüllt werden, aber der aktuellen Studentengeneration geht es nicht allein ums Geld. Vielmehr dreht sich bei den 20- bis 30-Jährigen fast alles um Perspektiven und Werte, um die bestmögliche Work-Life-Balance, um die persönliche Weiterentwicklung und die individuelle Selbstverwirklichung. Schnelle Aufstiegschancen werden genauso gern gesehen wie ein internationales Arbeitsumfeld, konstruktive Teamarbeit und flache Hierarchien. Ein Berufseinstieg auf der untersten Sprosse der Karriereleiter ist für viele Studierende undenkbar.

An Fleiß und Ehrgeiz mangelt es der jungen Generation dabei nicht. Nur kommt es nicht mehr allein auf das Was, sondern auf das Wie an, wenn es um die Verwirklichung der beruflichen Träume im perfekten Einklang mit den privaten Interessen geht. Ohne angemessene Angebote werden es Arbeitgeber künftig schwer haben, die besten und geeignetsten Führungskräfte anzuwerben. Im Umkehrschluss heißt das: Wer heute studiert und dabei gut abschneidet, hat morgen beste Karten beim Vorstellungsgespräch und eher die Qual der Wahl als eine mühsame Arbeitsplatzsuche vor sich. Selbst attraktive Arbeitgeber in ländlichen Regionen abseits der Großstädte haben heute schon darunter zu leiden, dass kaum jemand wegen des Jobs von Köln in den Schwarzwald oder von Hamburg ins Erzgebirge ziehen möchte.

Für die jungen Bewerber spielen auch gelebte Unternehmenswerte eine immer wichtigere Rolle. Ohne eine klare Compliance läuft in den Konzernen nichts mehr. Vor allem Aspekten wie Nachhaltigkeit, Fairness, Gleichberechtigung, kommunikative Offenheit und gegenseitige Wertschätzung kommt eine große Bedeutung zu. Wer mit diesen Werten bricht, steht allein aufgrund der öffentlichen Wahrnehmung schnell am Pranger, wie es etwa die Dieselgate-Affäre bei VW eindrucksvoll zeigt.

In diesem Zusammenhang klingt es fast paradox, dass den multinationalen Großkonzernen in Sachen Work-Life-Balance von der jungen Generation mehr Kompetenz eingeräumt wird als dem traditionellen Mittelstand. Denn prinzipiell kann ein kleineres Unternehmen natürlich flexibler und individueller auf die Bedürfnisse seiner Mitarbeiter eingehen als ein Global Player mit seinem riesigen Verwaltungsapparat. Hier scheint es zumindest noch ein großes „Kommunikationsloch“ zu geben, das es zu schließen gilt, wenn der Mittelstand die Topkräfte von morgen an sich binden will.

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