Über die Grenze

Dem Musiker Peter Ruzicka widmet das Beethovenfest eine Porträt-Reihe. In vier Konzerten sind Werke von ihm zu hören, die er zum Teil selbst dirigiert. Außerdem führt er Beethovens Neunte in der Fassung von Gustav Mahler auf

 Dirigent, Komponist, Musikmanager: Peter Ruzicka

Dirigent, Komponist, Musikmanager: Peter Ruzicka

Foto: Anne Kirchbach

In früheren Zeiten hätte man jemanden wie Peter Ruzicka vielleicht als einen „Hansdampf in allen Gassen“ bezeichnet. Oder als einen Tausendsassa. Doch solche Bezeichnungen wirken auf ihn bezogen eher unpassend. Dafür erscheint er trotz seiner beruflichen Vielseitigkeit einfach zu gelassen. Ruzicka ist Komponist, Dirigent und Hochschulprofessor. Außerdem war der promovierte Jurist viele Jahre Intendant, unter anderem an der Hamburgischen Staatsoper (1988-1997) und bei den Salzburger Festspielen (2001-2006). Bis heute leitet der 62-Jährige die Münchner Biennale für neues Musiktheater.

Wenn das Beethovenfest Ruzicka in diesem Jahr eine vierteilige Porträtreihe widmet, konzentriert es sich natürlich auf den Musiker. Dass er hier in doppelter Mission als Dirigent und Komponist auftreten kann, bezeichnet er als „Idealfall“.

Seit dem Abschied von Salzburg hat sich im Leben des gebürtigen Düsseldorfers ein Paradigmenwechsel vollzogen. „Spaßeshalber gesagt: Wenn ich mich jetzt in einem Hotel einschreibe, bemerke ich, dass ich in die Spalte ,Beruf’ jetzt wieder ,Komponist’ eintrage“, sagt er. In den vergangen 20 Jahren habe dort immer „Intendant“ gestanden. Es ist eine Art Rückkehr zu den Ursprüngen seines Tuns: „Ich habe gedacht, wenn ich so weitermache, gebe ich mich irgendwann als Komponist auf.“

Von der Münchner Biennale für zeitgenössisches Musiktheater, deren künstlerische Leitung er 1997 von Hans Werner Henze übernommen hatte, mag er sich freilich noch nicht trennen. Die Arbeit ist Teil einer „wunderbaren Balance“, die er im Zusammenspiel des Dreiklangs Komponieren, Dirigieren und Biennale empfindet. „In München machen wir nur Uraufführungen junger Komponisten, die sich zum ersten Mal mit Musiktheater beschäftigen. Ich habe mir hier zur Aufgabe gemacht, grenzüberschreitende Projekte zu fördern, keine traditionelle Oper.“

Ruzicka selbst ist erst zum Opernkomponisten geworden, als er die Biennale schon einige Jahre leitete. Es überrascht nicht, dass seine zwei Bühnenwerke, die seither entstanden sind, mit der Tradition der Gattung wenig gemein haben. In beiden Fällen handelt es sich um Opern über einen Dichter, wobei weder „Celan“ (2001) noch „Hölderlin“ (2008) eine vertonte Biografie ist. Den „Celan“ etwa beschreibt Ruzicka auch als ein Werk über den Holocaust.

Über die Beschäftigung mit dem Dichter der „Todesfuge“ ist Ruzicka dann zu Hölderlin gekommen: Dass Celan, bevor er in den Freitod ging, als Letztes die Biografie Hölderlins von Wilhelm Michel gelesen haben soll, hat Ruzicka tief berührt. Für ihn wäre Celan „ohne das Hölderlin-Erlebnis nicht denkbar“, wie er sagt. Hier liegt auch einer der Beweggründe verborgen, die Ruzicka nach der Celan-Oper hin zu einer intensiven Auseinandersetzung mit Hölderlin führten. Schon vor der eigentlichen Opernkomposition hinterließ die Annäherung an den Dichter deutliche musikalische Spuren im Oeuvre des Komponisten.

Ruzicka wollte zunächst ein neues „Klang-Koordinaten-Kreuz“ entwickeln. Unter anderem ist in dieser Zeit des Suchens die Komposition „... ins Offene...“ für Streicher entstanden, ein Titel, dem das Beethovenfest sein aktuelles Motto verdankt. Pate stand die Elegie „Der Gang aufs Land“, die emphatisch mit dem schönen Vers „Komm! Ins Offene, Freund!“ beginnt.

In seiner Vertonung beschreibt Ruzicka einen Zustand, als würde man sich „durch einen langen, bedrückenden Tunnel hindurchquälen und käme an einem bestimmten Punkt ins Licht, ,ins Offene’“. Während des Beethovenfests wird er dieses „Vorspiel zur Oper“, wie er es nennt, am 30. September selbst dirigieren. Es spielt die Staatskapelle Weimar, mit der er im selben Konzert auch Mahlers Fassung der neunten Sinfonie Beethovens aufführt, die zum ersten Mal beim Beethovenfest zu hören ist.

Ruzicka bezeichnet sich selbst als „Mahlerianer“. An diesem Arrangement, in dem Mahler einen den aktuellen Bemühungen um eine „authentische Aufführungspraxis“ völlig entgegengesetzten Weg einschlägt, fasziniert ihn vor allem die künstlerisch integre Haltung des Nachgeborenen. Die Änderungen, die Mahler vornahm, seien zu dessen Lebzeiten sehr umstritten gewesen, sagt Ruzicka.

Er habe sich gegen die Widerstände, die von der Presse, aber auch aus den Reihen des Publikums und des Orchesters kamen, sehr zur Wehr setzen müssen. „Wir werden ein Fernorchester haben“, verrät er. „Der berühmte Marsch, der ja immer ein bisschen peinlich ist, weil nach dem Wort ,Gott‘ das Kontrafagott so rülpst, wird dem Fernorchester übertragen und hinter die Bühne verbannt.“ Das sei das Überzeugendste an Mahlers Fassung.

Mahler habe verwirklicht, was „jeder von uns irgendwie hört“, sagt Ruzicka. Zuvor aber steht in Bonn ein neues, im Auftrag des Beethovenfests geschriebenes Werk auf dem Programm, das Ruzicka selbst dirigieren wird. Am Uraufführungstag, dem 15. September, übernimmt die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen den Orchesterpart.

Das Konzert „... über die Grenze ...“ für Violoncello und Orchester hat Ruzicka dem Solisten Daniel Müller-Schott in die Finger geschrieben. Es ist kein Virtuosenstück im Sinne der traditionellen romantischen Konzertliteratur. Der Solist nimmt den Hörer an die Hand, geleitet ihn durch das Stück – wobei die „Grenze“ nichts weniger ist als der schmale Grat zwischen Leben und Tod.

Konzert-TippsDie vierteilige Porträt-Reihe Peter Ruzicka präsentiert viele Facetten des Komponisten und Dirigenten. Am Mittwoch, 15. September, 20 Uhr, dirigiert Ruzicka in der Beethovenhalle Werke von Beethoven und dessen Zeitgenossen Anton Eberl (Sinfonie Es-Dur) sowie die Uraufführung seines eigenen Cellokonzerts “...Über die Grenze...„ mit Daniel Müller-Schott als Solisten. Es spielt die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen.

Am Samstag, 18. September, 20 Uhr, folgt im Forum der Bundeskunsthalle ein Liederabend mit Dietrich Henschel (Bariton) und Michael Schäfer (Klavier). Sonntag, 19. September, schließt sich am selben Ort um 20 Uhr ein Konzert mit dem Minguet Quartett und der Sopranistin Mojca Erdmann an. An beiden Abenden erklingen Werke von Ruzicka und Schumann. Am 30. September, 20 Uhr, stellt der Dirigent Ruzicka in der Beethovenhalle seine Komposition „... ins Offene ...“ der neunten Sinfonie Beethovens in der Fassung von Gustav Mahler gegenüber.

CD-TippDem Komponisten und Musikmanager Peter Ruzicka sind vier Porträt-Konzerte des Beethovenfests gewidmet. Fürs erste Einhören in die musikalische Welt Ruzickas empfiehlt sich diese CD, die einen Überblick über die kompositorische Arbeit nach 2000 gibt: unter anderem mit der Streicher-Musik „Ins Offene“ (Motto des Beethovenfests), dem fünften Streichquartett, den Hölderlin-Fragmenten für Bariton und Klavier sowie den Acht Gesängen nach Fragmenten von Nietzsche.

Die Lieder erscheinen durchweg als sehr sensible Gebilde, oft vom Kontrast zwischen Klavier-Einsprengseln und Singstimme geprägt. „Ins Offene“, ein gut viertelstündiges Stück für 22 Streicher, beschreibt einen musikalischen Weg von extremer Unruhe zu einem stillen, ganz zurückgenommenen Gesang. Die Streicher der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen, die hier alle solistisch tätig sein müssen, sorgen für einen nie unterbrochenen Spannungsbogen.

Peter Ruzicka: Ins Offene. Deutsche Kammerphilharmonie Bremen, Arditti String Quartet, Thomas Bauer (Bariton), Siegfried Mauser (Klavier). Thorofon CTH 2509. U.B.

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