Analyse Seehofers Signal und Merkel Schicksalstage in Brüssel

Berlin/Brüssel · Es ist ein eng getakteter Tag für die Kanzlerin. Regierungserklärung am Morgen, dann nach Brüssel. Entscheidet sich auf dem EU-Gipfel das politische Schicksal der Kanzlerin?

Mehr demonstrative Distanz geht kaum. In ihrer bisher wohl schwersten Krise in 13 Jahren Regierung kämpft Angela Merkel an diesem Donnerstagvormittag mit einer Regierungserklärung im Bundestag um ihr politisches Überleben.

Eindringlich wirbt die Kanzlerin für ihr Konzept einer europäischen Lösung der Migrationskrise, bevor sie am Mittag zum EU-Gipfel nach Brüssel fliegt. Sie wirft einen Blick auf die Krisen dieser Welt, warnt ungewöhnlich leidenschaftlich vor nationalen Alleingängen, die das europäische Friedensprojekt gefährden. Horst Seehofer bleibt der Rede fern, Staatssekretäre nehmen seinen Platz ein.

Der CSU-Chef und Bundesinnenminister "arbeitet im Haus und hat Termine", sagt eine Sprecherin später auf Anfrage. Ob er die Worte der Kanzlerin im Fernsehen verfolgt hat? Seehofer will Asylbewerber an der deutschen Grenze abweisen, wenn diese zuvor bereits in einem anderen EU-Land registriert wurden. Merkel ist dagegen, so etwas ohne Abstimmung mit den EU-Partnern zu tun.

Dabei hatte Seehofer am Mittwochabend noch leichte Signale der Entspannung in Richtung Merkel gesandt. In der ARD-Sendung "Maischberger" bekräftigt er zwar die Position der CSU, sagt aber auch: "Ich kenne bei mir in der Partei niemand, der die Regierung gefährden will in Berlin, der die Fraktionsgemeinschaft auflösen möchte mit der CDU oder der gar die Kanzlerin stürzen möchte." Und er fügt hinzu: "Wir werden das vernünftig unter Aufrechterhaltung der beiderseitigen Glaubwürdigkeit zu lösen versuchen" - dies könne er zwar "nicht garantieren, aber der feste Wille ist da".

Doch was bedeutet nun die Abwesenheit bei der Rede Merkels? Vielleicht will Seehofer ja die direkte Konfrontation mit ihr im Plenum vermeiden oder einfach nicht noch mehr Öl ins Feuer gießen. Oder vermeiden, dass es ihm als Schwäche ausgelegt würde, sollte er zu der Passage von Merkels Rede schweigen, in der sie nochmals ihre Entscheidung von 2015 verteidigt, aus Ungarn kommende Flüchtlinge nicht an der Grenze abzuweisen. Damals auf die Bitte von Österreich zu helfen, halte sie im Rückblick nach wie vor für richtig, wiederholt die Kanzlerin. Von Seehofer ist bekannt, dass er gerade diese Sätze der Kanzlerin für katastrophal in der Wirkung hält.

Statt Seehofer antwortet dann CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt auf Merkel, die viel Applaus aus den CDU-Reihen und auch von der SPD erhält, aber sehr wenig aus der CSU. Er begrüßt, dass es Fortschritte bei der gemeinsamen europäischen Migrationspolitik gebe. Dass Frontex als Grenzpolizei weiterentwickelt werde, sei eine Schlüsselfrage. Doch er pocht natürlich auf die Forderungen der Christsozialen: Europäische Lösungen und nationale Maßnahmen gehörten zusammen. Merkel fährt auf ihrem Kanzlerinnensessel vor und zurück, als der CSU-Mann erneut verlangt, Migranten an den Grenzen zurückzuweisen. Für sie ein No-Go.

Kurz vor Ende der Debatte zieht sich Merkel dann mit Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) und Dobrindt auf eine Hinterbank des Plenums zurück. Keiner wird wohl erfahren, was Merkel mit ihnen bespricht - aber es dürfte wohl sicher um die kommenden Entscheidungstage gegangen sein. Dobrindt wirkt leicht nervös - es ist ein ernstes Gespräch, so viel steht fest. Nach ein paar Minuten verlässt Merkel die Dreierrunde, macht noch einen kleinen Zwischenstopp bei Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt, scherzt kurz mit ihr.

Kauder und Dobrindt sitzen noch lange ins Gespräch vertieft zusammen. Merkel hat da schon längst den Plenarsaal verlassen. Alleine macht sie sich auf den Weg zu den EU-Kollegen nach Brüssel. Dort geht es nicht nur um die Migration und Europa, es geht auch um das Schicksal der Kanzlerin. Sie weiß: Nach der zweiwöchigen Frist, die sie sich selbst gegeben hat, muss sie nun liefern. Am Sonntag wollen die Spitzengremien von CDU und CSU entscheiden, wie es weitergeht. Ende der Koalition, Bruch der Unionsgemeinschaft nicht ausgeschlossen.

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