Trügerische Winteridylle Schneemassen frieren den Alltag in Berchtesgaden ein

Berchtesgaden · Kaum zu bewältigende Schneemassen, Bäume stürzen um, Straßen sind gesperrt, manche Häuser einsturzgefährdet, gepanzerte Bundeswehrfahrzeuge müssen die Versorgung sichern. Ein weißer Katastrophenfall in Berchtesgaden.

Die Katastrophe sieht in Berchtesgaden idyllisch aus. Leise rieselnder Schnee, weiße Pracht überall. Still und starr ruhen Bahn und parkende Autos. Doch die Winteridylle ist auch trügerisch.

Die Bäume biegen sich unter der weißen Last, viele brechen unter ihr zusammen - und auch für die Dächer in der Gemeinde wird der nasse Schnee mehr und mehr zum Problem. Einige Gebäude sind einsturzgefährdet und müssen vom Schnee befreit werden, wie der Berchtesgadener Bürgermeister Franz Rasp (CSU) sagt. Kurz darauf ruft das Landratsamt am Donnerstag den Katastrophenfall für den südlichen Landkreis Berchtesgadener Land aus.

Zahlreiche Straßen in der Region sind gesperrt, weil Bäume umgestürzt sind oder umzufallen drohen. Wo Autos noch fahren dürfen, geht der Verkehr auf schneeglatter Straße nur sehr schleppend voran. Der Berchtesgadener Bahnhof hat den Betrieb vorerst vollständig eingestellt. Oberleitungsschaden. Das Dach über den Gleisen wird mit Pfeilern gegen die Schneelast gestützt.

"Die Situation ist schon außergewöhnlich", sagt Rasp. Er spricht von einer "professionellen Gelassenheit - aber auf sehr, sehr hohem logistischen Niveau". Rund 25.000 Euro wird es die Kommune extra kosten, Herr der Schneemassen zu werden - und zwar pro Tag.

29 Räumfahrzeuge und "40 Mann im Winterdienst" sind im Gemeindegebiet, wo weniger als 8000 Menschen leben, im Dauereinsatz. Den Schnee nur zur Seite zu räumen, reicht längst nicht mehr aus. Er wird mit Lastwagen weggekarrt und mit Schneefräsen in hohem Bogen weggeschleudert. "Der Schneeberg hinter dem Bahnhof, der kommt nur aus der Fußgängerzone - dabei ist das hier alles ja noch gar nichts im Vergleich zu weiter oben", sagt Rasp.

Weiter oben, auf etwa 1000 Metern, ist der Ortsteil Buchenhöhe mit seinen 350 Bewohnern von der Außenwelt weitgehend abgeschnitten. Die Zufahrtsstraßen sind gesperrt, sagt Markus Heiß von der Berchtesgadener Feuerwehr, die an einem einzigen Schneechaos-Tag rund 120 Einsätze zählt. "Alles kleinere Sachen." "Die da oben", so sagt er, seien "bestens versorgt".

"Wie es hier aussieht? Weiß", sagt der Mitarbeiter eines Hotels in Buchenhöhe, der seinen Namen nicht in den Medien lesen will, am Telefon. Er gibt sich entspannt. Strom und Heizung funktionieren, sagt er. "Das Internet schwankt."

Damit die Lage sich nicht verschärft, ist inzwischen die Bundeswehr im Einsatz, die nach dem offiziellen Ausrufen des Katastrophenfalles eine Art Shuttle mit gepanzerten Fahrzeugen bilden will, um die Menschen in der abgeschnittenen Ortschaft zu versorgen, wie der Presseoffizier Eckhard Michel sagt, der als Major zur See, so seine Berufsbezeichnung, eigentlich eher am Wasser in anderem Aggregatszustand zu vermuten wäre.

Schon seit Mittwoch hatten die Soldaten vor allem die Bewohner und Mitarbeiter eines Asthma-Zentrums gefahren und versorgt.

Die Bundeswehr und ihre Gebirgsjäger sollen nun aber auch dabei helfen, Dächer von der Schneelast zu befreien. "Auf den Dächern liegen zum Teil jetzt schon anderthalb bis zwei Meter Schnee", sagt Rasp. Damit drücke der Schnee mit einem Gewicht von bis zu 400 Kilo pro Quadratmeter aufs Dach. Die meisten Dächer im Ortsteil Buchenhöhe seien auf 500 Kilo ausgelegt. Aber weitere Schneefälle sind ja angesagt.

Die Kommune hat inzwischen verfügt, dass alle Gemeindegebäude vom Schnee befreit werden sollen - darunter auf die Eishalle, deren Dach laut Bürgermeister 160 Kilo pro Quadratmeter aushält - und nun schon 150 Kilo tragen muss. Bad Reichenhall, wo im Januar 2006 eine Eissporthalle unter Schneemassen zusammenbrach und 15 Menschen in den Tod riss, liegt nur 20 Kilometer von Berchtesgaden entfernt.

Der Bürgermeister selbst hat am Vortag vier Stunden lang auf dem Dach seines eigenen Hauses gestanden, um den Schnee loszuwerden. "Heute Nachmittag muss ich wieder hoch." Er betont, dass der Katastrophenfall vorsorglich ausgerufen wurde, um Einsatzkräfte zu bündeln und auch die Bundeswehr stärker einbinden zu können. Es sei eine reine Vorsichtsmaßnahme. "Es ist ja keine Gefahr für Leib und Leben. Es ist halt Winter."

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