Politik - Radioaktiver Dampf im Stau

Die Katastrophe von Harrisburg stärkt die Bewegung der Kernkraftgegner

Vor dem Größten Anzunehmenden Unfall (GAU) im ukrainischen Tschernobyl am 26. April 1986 war Harrisburg. Dort bricht am 28. März 1979 das Kühlsystem des Kernkraftwerks Three Miles Island zusammen. Das Bedienungspersonal ist zwar wachsam und bemerkt die Anomalie in der erst drei Jahre alten Anlage, reagiert aber gründlich falsch. Die Männer schalten das Ersatzkühlsystem, das automatisch aktiviert worden war, ab und damit eine Katastrophe an.

In den folgenden Stunden erhitzt sich das Uranium derart, daß die Brennstäbe zerbrechen. Radioaktiver Dampf staut sich, und die Gefahr einer Explosion wächst. Im einem Umkreis von acht Kilometern um Three Miles Island werden in Windeseile mehr als 200 000 Kleinkinder und schwangere Frauen evakuiert. Obwohl Dampf in die Umwelt und 1,5 Millionen Liter "leicht verseuchtes" Kühlwasser in den Susquehanna-Fluß abgelassen werden, droht in dem Atommeiler eine Wasserstoffexplosion. Der betroffene US-Bundesstaat Pennsylvania lebt mit diesem Risiko mehrere Tage, ehe sich die Wasserstoffblase allmählich zurückbildet. Das Atomkraftwerk wird abgeschaltet und die Entfernung der Brennstäbe Jahre beanspruchen. Die Bewohner kehren langsam zurück. Vorsorglich werden fünf weitere baugleiche Kernkraftstypen stillgelegt.

Das radioaktiv verseuchte Kühlwasser ist Wasser auf die Mühlen der Kernkraftgegner. der Störfall in Harrisburg ist der Startschuß für eine weltweite Anti-Atomkraft-Bewegung, die weiteren Zulauf erhält, nachdem dem halben GAU in Harrisburg der "100-Prozent-GAU" in Tschernobyl folgt. Während Todesfälle, schwere Mißbildungen bei Neugeborenen und zahlreiche Krebsfälle in der Ukraine unstrittig von den hohen radioaktiven Dosen verursacht wurden, sind die Auswirkungen schwächerer Dosen auf die Gesundheit, insbesondere das Leukämierisiko, weiterhin umstritten. Aber auch relativ lange Beobachtungszeiträume von betroffenen Menschen werden je nach Standpunkt nicht den letzten Beweis, sondern nur eine höhere Wahrscheinlichkeit für die eine oder andere These liefern.

Neben den Gesundheitsrisiken bei Störfällen ist Art und Ort der Endlagerung der radioaktiven Abfälle bis heute eine ungeklärte Frage geblieben. Grundsätzlich wartet die gesamte Energiefrage auf eine zukunftsweisende Antwort, denn wirkungsvolle Alternativen zur Kernkraft sind alles andere als risikolos. Der zusätzliche, vom Menschen verursachte Treibhauseffekt durch die jahrzehntelange Verbrennung fossiler Energieträger (Kohle, Öl, Gas) ist dafür ein warnendes Beispiel.

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