Wahlkrimi bei der AfD Niederlage für gemäßigten Flügel

Hannover · Pfeifkonzerte und Buh-Rufe wie beim Abgang von Parteigründer Lucke 2015 gibt es diesmal nicht. Aber friedlich ist es in der AfD nicht geworden. Der Streit hat sich bloß in die Hinterzimmer verlagert.

 Nachdem Pazderski seine Kandidatur zurückzog, war der Weg für Gauland frei.

Nachdem Pazderski seine Kandidatur zurückzog, war der Weg für Gauland frei.

Foto:  Julian Stratenschulte

Stundenlang plätschert der AfD-Parteitag in Hannover emotionslos vor sich hin. Es geht um Kleingedrucktes, um prozedurale Fragen.

Selbst Parteichef Jörg Meuthen, der sonst gerne auf das "links-rot-grün versiffte 68-er Deutschland" schimpft, klingt in seiner Eröffnungsrede ungewohnt zahm. Erst am Abend kochen die Emotionen hoch. Und die AfD macht ihrem Ruf als Überraschungspartei wieder einmal alle Ehre.

Meuthens Wiederwahl zum Vorsitzenden geht noch relativ glatt durch - auch wenn rund ein Viertel der Delegierten gegen den amtierenden Parteichef stimmt. Doch dann wird es heftig. Der Berliner Landesvorsitzende Georg Pazderski kandidiert wie angekündigt für den Posten des gleichberechtigten Co-Vorsitzenden. Da meldet sich eine Überraschungskandidatin.

Doris von Sayn-Wittgenstein ist erst seit 2016 AfD-Mitglied. Jetzt will die schleswig-holsteinische Landeschefin, die dem rechtsnationalen Flügel um den Thüringer Rechtsaußen Björn Höcke nahesteht, Co-Vorsitzende werden. Die Frau mit dem blonden Zopf hält eine Rede voller Pathos, lobt die neue "patriotische Richtung" der AfD.

Einige Mitglieder aus Schleswig-Holstein sind regelrecht schockiert. "Ich bin ziemlich überrascht, dass sie für den Spitzenposten kandidiert", sagt Landtagsfraktionschef Jörg Nobis. Eine sichtlich verärgerte ostdeutsche Delegierte sagt voller Sarkasmus: "Da spricht Madame Höcke." Nach zwei Wahlgängen ohne klare Mehrheitsverhältnisse zieht von Sayn-Wittgenstein ihre Kandidatur wieder zurück.

Manche fragen sich nun, ob die Überraschungskandidatin vielleicht nur als "Platzhalterin" für den Vorsitzenden der Bundestagsfraktion, Alexander Gauland, angetreten ist. Er hatte sich eine Kandidatur gegen Pazderski bis zuletzt offengehalten. Von Sayn-Wittgenstein weist das von sich. "Ich glaube, ich habe noch nie ein Wort mit ihm gesprochen."

Dann tritt Gauland in den Ring. Der 76-Jährige gilt als wichtigster Strippenzieher der Partei. Gegen ihn anzutreten - da rechnet sich Pazderski kaum Chancen aus. Auch er zieht jetzt seine Kandidatur zurück. Gauland wird ohne Gegenkandidaten gewählt.

Für das bürgerlich-gemäßigte Lager der AfD ist das eine herbe Niederlage. Einige Vertreter dieser Strömung, die durch den Abgang der früheren Parteichefin Frauke Petry schon geschwächt war, können ihre Enttäuschung kaum verbergen. Doch niemand wagt es, das mächtige Spitzenduo Gauland/Meuthen offen zu kritisieren.

Beim rechtsnationalen Parteiflügel ist Pazderski nicht nur unbeliebt, weil er Anfang des Jahres für ein Parteiausschlussverfahren gegen den Thüringer Partei- und Landtagsfraktionschef Höcke gestimmt hatte. Höcke und seinen Unterstützern gefällt auch nicht, dass Pazderski seine Berliner Fraktion als möglichen Partner für CDU und FDP positioniert. Pazderski hatte in einem Positionspapier erklärt: "Die Berliner AfD ist bereit, über Blau-Schwarz-Gelb als politisches Zukunftsmodell für unsere Stadt nachzudenken." Am Ende wird er immerhin zum ersten Stellvertreter gewählt.

Meuthen freut sich. Er scherzt, lacht. Das ist sein Abend. Dass ihn relativ viele Delegierte nicht mehr an der Spitze haben wollten, quittiert er mit einem Schulterzucken. Gegenstimmen seien völlig normal. "Wir sind ja nicht bei der SPD."

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