Nach Wochen hat das Leben im Keller ein Ende

Am 18 - und 19 - März 1945 erreichen die amerikanischen Truppen Nieder- und Oberdollendorf - Nach der sorgenvollen Zeit in den Stollen werden der Zivilbevölkerung nun die Lebensmittel knapp

  In den Ofenkaulen:  Aus Furcht vor Artilleriebeschuss richteten sich viele Zivilisten notdürftig in unterirdischen Gewölben des Siebengebirges ein.

In den Ofenkaulen: Aus Furcht vor Artilleriebeschuss richteten sich viele Zivilisten notdürftig in unterirdischen Gewölben des Siebengebirges ein.

Foto: Handt

Siebengebirge. Über die beherrschenden Höhenzüge erreichen die Amerikaner am 18. und 19. März 1945 Windhagen, Wülscheid, Orscheid, Berghausen, Quirrenbach und Hühnerberg. Schon drei Tage zuvor hatte sich General Modl veranlasst gesehen, sein Hauptquartier der Heeresgruppe 6 in Oberpleis aufzugeben und sich mit seinem Stab in Richtung Osten abzusetzen.

Am Rhein gelingt den US-Truppen der Durchbruch nach Nieder- und Oberdollendorf, tags darauf stehen sie ebenfalls in Heisterbacherrott und Thomasberg und kontrollieren am 21. März schließlich auch das Hinterland des Siebengebirges.

Leichtes Spiel ist den Alliierten in dem zerklüfteten Gebiet kaum vergönnt. In fast jedem Ort stoßen sie auf den heftigen Widerstand durch Wehrmacht und Volkssturm, deren Reihen sich zusehends lichten. Obwohl die Lage für die Soldaten zusehends aussichtsloser wird, lässt die Heeresleitung rigoros gegen jeden vorgehen, der ohne entsprechenden Marschbefehl abseits der Front angetroffen wird.

Die Front, so die inoffizielle Definition, ist dort, wo geschossen wird. Versprengte Soldaten haben sich in die Front einzureihen. Überwacht wird die Disziplin der Einheiten nicht zuletzt von den berüchtigten Ordnungstruppen. "Wer den Tod in Ehren fürchtet, stirbt ihn in Schande", ist etwa ein geheimes Schreiben überschrieben, in dem die Ordnungstruppen die Verbände über vollstreckte Todesurteile informieren.

Schon Wochen zuvor haben zahlreiche Bewohner der Siebengebirgsorte sowie Evakuierte und Ortsfremde in den stillgelegten Steinbrüchen Schutz gesucht, die sich teilweise unterirdisch verzweigten. Davon weiß etwa Heinz Klein aus Heisterbacherrott zu berichten.

Seinen Angaben zufolge befinden sich unter den vielen Schutzsuchenden auch Kranke und Sieche, von denen eine 17-Jährige stirbt: "Sie stöhnen mehr oder weniger in ihrem Schmerz, den eine anwesende Ärztin nur schwer zu lindern vermag. Kinder weinen ob der schemenhaften Umgebung und sind kaum zu beruhigen. So vegetieren die Menschen in Gedanken und in der Sorge um ihre Angehörigen in nah und fern dahin. Besonders machen sie sich Sorgen um die angehörigen Soldaten, bei denen man nicht weiß, ob sie das letzte Inferno überstehen würden."

Schließlich, am Morgen des 18. März, schieben sich die ersten Panzer mit dem Fünfzackstern durch Dollendorf und Heisterbacherrott. Der erste Schrecken verwandelt sich bei den meisten Menschen in Erleichterung, sofern nicht - wie in Einzelfällen - die Wohnung mutwillig verunstaltet wird. In anderen, heil gebliebenen Wohnungen nehmen die "Amis" Quartier. Das Schildchen "Off Limits" besagt: "Kein Zutritt". Gegenseitige Hilfsbereitschaft, vor allem angesichts der schlechter werdenden Lebensmittelversorgung, wird zum Überleben unabdingbar.

Unterdessen weisen Kenner der damaligen Ereignisse darauf hin, dass in Aegidienberg keine Verbände der Waffen-SS gekämpft haben, wie es im Nachhinein immer wieder von Zeitzeugen geschildert worden war. Vielmehr, so ein Leser, verwechselte die Bevölkerung vielfach Angehörige der Panzerbrigade 106 "Feldherrnhalle" mit Soldaten der Waffen-SS, weil die Soldaten der Panzertruppe Kragenspiegel mit Totenköpfen - ähnlich denen der Waffen-SS an der Mütze - trugen. Wie Dieter Runge, Kenner der Materie, erläutert, war Aegidienberg von der Wehrmacht vielmehr zur Festung erklärt worden - zu verteidigen bis zur letzten Patrone.

Zeitzeugen berichten

Mit klopfendem Herzen treten wir aus dem Stollen heraus, um das Schauspiel zu beobachten. Hinter den Bäumen werden amerikanische Soldaten sichtbar; auch Schwarze sind dabei. Sie tragen große Stahlhelme, die ganz anders aussehen als die deutschen, und kauen unentwegt.

In einer breiten Schützenkette rücken sie vor. Sie mustern uns misstrauisch, kümmern sich aber nicht weiter um uns. Unser Vater versucht nun, den Führer des Stoßtrupps zu sich heranzuwinken, um ihn vor einem deutschen Maschinengewehrnest zu warnen, das sich unterhalb des Schleifenwegs vor dem Hause Limbach befindet. Und während unser Vater noch auf den Offizier einredet, rattert das Maschinengewehr bereits los und nimmt die Spitze des Stoßtrupps unter Feuer.

Die Soldaten lassen sich sofort zu Boden fallen. Nur unser Vater - militärisch ungeübt - rennt zum Stolleneingang zurück. Gott sei Dank erwischt ihn keine Kugel. Die amerikanischen Soldaten nehmen nun das deutsche Maschinengewehrnest unter Feuer, und nach einiger Zeit verstummt es. Von oben sehen wir dann, wie die Amerikaner entlang der Bergstraße vorrücken, und mich beeindruckt besonders, wie vorsichtig sie dabei zu Werke gehen.

Helmut Vreden, Niederdollendorf

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