Analyse Merkel und das unberechenbare CSU-Dreigestirn

Berlin · Der wochenlange Machtkampf in der CSU ist vorerst gelöst. Doch ob das der Kanzlerin bei der quälenden Regierungsbildung hilft, ist offen. Jeder im neuen christsozialen Spitzentrio hat eigene Interessen.

 Seehofer macht wohl Platz für seinen Rivalen Markus Söder.

Seehofer macht wohl Platz für seinen Rivalen Markus Söder.

Foto: Peter Kneffel

Bei allen Reibereien mit der CSU war für Angela Merkel zumindest eines gewiss: Am Ende zählt Horst Seehofer. Dabei hat der Parteichef und bayerische Ministerpräsident der Kanzlerin das gemeinsame Regieren nicht nur einmal schwer gemacht - Schwesterpartei hin oder her.

Nach der Entscheidung im Machtkampf der CSU wird es für die CDU-Vorsitzende jetzt kaum einfacher werden. Auch wenn wenigstens der Schwebezustand zu Ende ist und Seehofer wohl im Frühjahr in der Münchener Staatskanzlei Platz für seinen Rivalen Markus Söder macht.

Künftig muss sich Merkel mit einem tiefschwarzen CSU-Dreigestirn arrangieren, und zwar schon bei den ohnehin komplizierten Gesprächen über eine Regierungsbildung mit der SPD. Spielen Seehofer, der ja Parteichef bleiben will, und Söder mit verteilten Rollen? Setzt Söder wegen der Bayern-Wahl im Herbst 2018 auf mehr Profil durch ein scharfes Abgrenzen von Berlin? Und was macht CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt, der ebenfalls eigene Interessen hat? Vieles ist unberechenbar für die Kanzlerin.

In der CDU hoffen sie, dass bei den CSU-Granden der Druck zur Geschlossenheit überwiegt. Weder Seehofer noch Söder könnten ein Interesse an öffentlich zelebriertem Dauerstreit haben - das schrecke Unionswähler erfahrungsgemäß nur ab.

Kommt es nächste Woche wie von Martin Schulz anvisiert zu einem ersten Treffen mit den Spitzen von CDU und CSU, wäre Söder wohl noch außen vor: Bringt der SPD-Chef tatsächlich Fraktionschefin Andrea Nahles mit, ist das Format klar. Neben Merkel und Seehofer wären für die Union Fraktionschef Volker Kauder (CDU) und Dobrindt dabei. Doch Seehofer hat schon angekündigt: Bei schwarz-roten Sondierungen wäre Söder, der bei den Jamaika-Annäherungen nicht mal zur CSU-Delegation gehörte, an Bord. Das ist taktisch folgerichtig, denn der Chef kann kein Interesse an Dauerstörfeuer Söders haben. Und auch nicht daran, dass der Franke später einen Koalitionsvertrag wieder in Frage stellt, den er nicht mitverhandelt hat.

Auch Söder dürfte am Ende an einer Neuauflage der GroKo gelegen sein. Denn nur, wenn die künftige Regierung im Frühjahr steht, ließe sich die neue Machtkonstellation in der CSU relativ reibungslos vollenden - mit einem möglichen Wechsel Seehofers an Merkels Kabinettstisch.

Schon wird spekuliert, welcher Posten der richtige für den CSU-Chef sein könnte: Das Innenministerium, wo er als personifizierte Garantie für die unnachgiebig verlangte Zuwanderungsbegrenzung wirken könnte? Oder Arbeit und Soziales - dort hätte Seehofer Zugriff auf den größten Einzeletat, er könnte die von der CSU verlangten Verbesserungen für Familien und Kinder gestalten. Das Haus kennt er schon: Von 1989 bis 1992 war er Parlamentarischer Staatssekretär.

Auch das Gesundheitsressort könnte passen, heißt es nicht ohne Hintergedanken. Seehofer hat das Ministerium schon von 1992 bis 1998 unter Helmut Kohl geführt. Nun könnte er eine von der SPD als Herzensangelegenheit verlangte Bürgerversicherung auf Unionslinie trimmen. Immerhin hatte Seehofer 2003 im Streit über die Privatisierung von Gesundheitsleistungen selbst für eine Bürgerversicherung plädiert, bei der alle unabhängig vom Einkommen in die gesetzliche Krankenversicherung einzahlen sollten.

Und Söder? Bisher hat der Landesfinanzminister keine größere Rolle auf dem Bundesparkett gespielt und hatte auch nicht sonderlich viel mit Merkel zu tun. Höchstens in seiner Zeit als CSU-Generalsekretär von 2003 bis 2007 könnte es Berührungspunkte gegeben haben - Söder hatte vor Merkels erster Wahl zur Kanzlerin 2005 am Regierungsprogramm der Unionsparteien mitgearbeitet.

Spannend wird, wie die langjährigen Intimfeinde Seehofer und Söder später bei ihrer Ämterteilung in der Praxis harmonieren. Das jüngste Beispiel für eine Doppelspitze ist schon lange her. Nach dem Tod von CSU-Übervater Franz Josef Strauß 1988 wurde Theo Waigel Parteichef und dann auch Bundesfinanzminister, während in Bayern Max Streibl und Edmund Stoiber als Ministerpräsidenten regierten.

Und dann ist da noch Dobrindt. Er lässt keine Zweifel, dass er die CSU-Speerspitze in Berlin wieder scharfkantiger positionieren will - als eigenständige Kraft. Zwar ist die CSU-Landesgruppe nach der 38,8-Prozent-Schlappe bei der Bundestagswahl in Bayern auf 46 Leute geschrumpft. Doch selbst bei einer großen Koalition käme es diesmal rechnerisch auf die CSU an. Schon in den Jamaika-Sondierungen fiel manchem das selbstbewusste Agieren des langjährigen Seehofer-Mannes Dobrindt auf. Künftig müssten beide ihre Rollen austarieren, wenn der Parteichef ständig in Berlin ist - vor allem für Dobrindt wohl nicht ganz einfach, auch mit Blick auf eine Zeit nach der Seehofer-Ära.

Für Merkel kommt es so oder so weiter auf die mühsam gefundene "Einheit der Union" an. In Stein gemeißelt ist die nicht. Immerhin haben CDU und CSU den zerstörerischen Streit ums Reizthema Flüchtlings-Obergrenze befriedet, auch in den langen Jamaika-Wochen blieben sie eng beieinander. Die SPD legt aber schon Hand an einen Kernpunkt des Kompromisses: Flüchtlingen will sie den Familiennachzug gegen den Willen der Union bald wieder ermöglichen.

Der Konter aus München erfolgt umgehend: Er könne sich eine entsprechende Übereinkunft nicht vorstellen", sagte Seehofer der "Bild"-Zeitung (Dienstag). "Das wäre wieder eine so massive Zuwanderung, dass die Integrationsfähigkeit Deutschlands total überfordert wäre."

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